Jan Hus soll uns miteinander verbinden!

Jan Hus soll uns miteinander verbinden!

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So sprach der römisch-katholische Bischof František Radkovský in der Nikolaus-Kirche am Prager Altstädter Ring am 3. Dezember 2013. Der Anlass für dieses wegweisende Wort war die Unterzeichnung einer Vereinbarung zwischen der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) und der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche (THK) über die gemeinsame Vorbereitung und Durchführung der verschiedensten Aktivitäten zum Jahrestag der Verbrennung von Meister Jan Hus, der sich am 6. Juli 2015 zum 600. Mal jährt. Es ist schon faszinierend, wie Jan Hus auch 600 Jahre nach seinem Tod noch Menschen in Bewegung bringt, wie neue Aufbrüche und Anfänge möglich sind, die man so nicht ohne Weiteres erwartet hat.

Beginnen wir bei den beiden Kirchen. Wer die kirchliche Szene in Tschechien nicht kennt, wird es eher normal finden, dass zwei Kirchen, die sich auf die böhmische Reformation beziehen, bei einem so runden Jahrestag zusammenarbeiten. Wer genauer hinschaut, der erfährt, dass diese beiden Kirchen aus sehr unterschiedlichen Traditionen stammen und deshalb auch ein unterschiedliches Gepräge haben. Gemeinsam ist beiden Kirchen, dass sie in ihrer heutigen Form nach dem Ende des 1. Weltkriegs entstanden sind. Die EKBB hat sich in ihrer heutigen Form im Dezember 1918 konstituiert, gut sechs Wochen nach der Gründung der Tschechoslowakei. Damals haben sich die reformierten und lutherischen tschechisch-sprachigen Gemeinden auf dem Gebiet des heutigen Tschechien zusammengeschlossen und sich den Namen „Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder“ gegeben. Das war ein Akt der Befreiung! Denn seit dem Toleranzpatent des Kaisers Joseph II im Jahr 1781 durften die Evangelischen wieder aus dem Untergrund auftauchen, aber sie durften sich nicht auf die Böhmische Reformation beziehen. Und jetzt durften die tschechischen Evangelischen wieder selber über ihren Weg und auch ihren Namen entscheiden. Das war ein neuer Aufbruch!

Die THK hat ihren Anfang auch bald nach der Gründung der Tschechoslowakei. Sie wurde im Januar 1920 gegründet und ist aus der Modernismus- und „Los-von-Rom“ – Bewegung herausgewachsen.  1920 gaben die Kirchengründer der neuen Kirche den Namen „Tschechoslowakische Kirche“ und verstanden diese neue Kirche als eine Nationalkirche, in der nun die Messe auf tschechisch gehalten wurde, in der die Priester heiraten durften und auch Frauen ordiniert wurden. Seit 1971 heißt die Kirche „Tschechoslowakische Hussitische Kirche“. In manchen theologischen und liturgischen Fragen hat sie die römische Tradition weiterentwickelt.  Z. B. gibt es in dieser Kirche sieben Sakramente und sie versteht sich als eine liturgische Kirche der Reformation.

In vielen Fragen sind die beiden Kirchen unterschiedliche Wege gegangen, in manchem hatten sie auch Berührungspunkte. Und nun bringt Jan Hus die Kirchen näher zu einander. Sie haben im Herbst 2013 eine Vereinbarung erarbeitet, in der beide Kirchen den Willen zum Ausdruck bringen, den 600. Jahrestag des Märtyrer-Todes von Jan Hus gemeinsam zu begehen.

Erste gemeinsame Schritte führten auf die Prager Rathäuser und auf das Kulturministerium, das ja in Tschechien für die Kirchen zuständig ist. Sowohl beim Kulturministerium wie beim Oberbürgermeister der Hauptstadt Prag wie beim Bürgermeister von Prag 1 fanden die Kirchenvertreter –und Vertreterinnen offene Türen. Eine Erfahrung, die für die Kirchen ganz besonders erfreulich ist. Sind es doch gerade einmal 25 Jahre, die zwischen heute und der Zeit der Totalität liegen, in der die Kirchen im besten Falle geduldet waren, wenn sie sich ruhig und unauffällig  verhielten. Das Verhältnis zwischen Pfarrhaus und Rathaus war in aller Regel gespannt und durch einen garstigen Graben getrennt. Die „Rathäuser“ haben in aller Regel den Gemeinden das Leben schwer gemacht und oft genug nicht nur den Pfarrerinnen und Pfarrer Prügel in den Weg geworfen. Einiges hat sich verändert in diesen 25 Jahren! Vielerorts nehmen die Bürgermeister und politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen das Leben und Engagement der Kirchen positiv wahr, auch wenn es bis heute allerlei Arten von Behinderungen gibt.

Zu diesen positiven Erfahrungen gehören ganz sicher die offenen Türen der Rathäuser und Ministerien für das Anliegen,  das Gedenken an den Märtyrertod von Jan Hus würdig zu gestalten. Besonders erfreulich ist es, wenn die Städte und Gemeinden daran interessiert sind, gemeinsam mit den Kirchen an den Rektor der Prager Universität und Reformprediger in der Öffentlichkeit zu erinnern.  Ing. Oldřich Lomecký, der Bürgermeister von Prag 1, betonte bei der Unterzeichnung der Vereinbarung von EKBB und CČSH am 3. Dezember 2013 in der Kirche St. Martin in der Mauer, dass die Kommune ein großes Interesse daran hat,  das Gedenken an Jan Hus gemeinsam mit den Kirchen würdig zu gestalten. Im gleichen Sinne äußerte sich auch Tomáš Hudeček, Prags Oberbürgermeister, im Gespräch mit Kirchenvertretern. Dies brachte der Prager Primátor auch dadurch zum Ausdruck, dass er die Schirmherrschaft über das Hus-Gedenken in Prag übernahm.

Was kann man heute schon sagen über die Veranstaltungen, die im Laufe des nächsten Jahres geplant werden. Vieles ist gerade auf dem Weg von der Idee zur Realisierung.  Manche Pläne müssen noch auf den finanziellen Prüfstand, vieles braucht noch etwas Zeit. Doch schon jetzt kann man sagen, dass das offizielle Hus-Gedenken am Vorabend des grossen Jahrestages beginnen soll. Am Jahrestag selber,  am 6. Juli 2015, sind viele Veranstaltungen im Prager Zentrum geplant: auf dem Altstädter Ring und auf dem Obstmarkt (Ovocní trh) und in einer ganzen Reihe von Kirchen in der Prager Altstadt. Zu den wichtigen Orten gehört sicher die Kirche St. Martin in der Mauer, die ja schon in diesem Jahr einen wichtigen Jahrestag der Böhmischen Reformation feiert, die Erneuerung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, das im Oktober 1414 zum ersten Mal nach mehreren Jahrhunderten in der Kirche St. Martin in der Mauer gefeiert wurde. Dieses Jubiläum soll am 12. Oktober 2014 mit einem festlichen Abendmahlsgottesdienst  in der Bethlehemskapelle gefeiert werden, den das Prager Seniorat der EKBB und die Prager Diözese der THK gestalten. Nach dem Gottesdienst ist ein Fest mit vielen Veranstaltungen geplant, unter anderen auch mit Vorträgen zum Thema des Abendmahls.

Zum Fest am 5. und 6. Juli 2015 werden auch viele Gäste aus dem In- und Ausland erwartet. Unter den Gästen aus Deutschland erwarten wir den Ratsvorsitzenden der EKD Nikolaus Schneider und viele weitere Gäste aus Deutschland, Europa und der weltweiten Ökumene.

Wird es uns gelingen, einige Themen von Jan Hus auch für heute so aufzunehmen, dass die heutigen Menschen spüren: es geht nicht nur um eine 600 Jahre alte Geschichte? Es geht auch um uns, um unseren Glauben, um die Notwendigkeit, zur Bibel und zu den Ursprüngen des Glaubens  zurückzukehren. Wird es uns gelingen, uns von dem Ringen um die Wahrheit von Jan Hus inspirieren zu lassen, damit wir in einer Zeit der Beliebigkeiten und einer starken Tendenz zur Spass-Gesellschaft danach fragen, was uns heute trägt, was heute unserer Welt und unserem Leben eine Perspektive gibt, die hinausgeht über den Tag, hinaus über einzelne Interessen, hin zu einem neuen Aufbrechen zu einem lebendigen Glauben?

Es ist uns zu wünschen, dass Bischof Radkovský recht behält: Hus vereint uns! Die Evangelischen mit den Hussiten und den römisch-katholischen Christen.  Die Kirchen mit den Kommunen.  Alle, die sich hier ans Werk machen, werden auch erleben, dass dies alles andere als einfach ist. Es gibt manche Stolpersteine, auch viele Gelegenheiten zu Missverständnissen und natürlich Meinungsunterschieden. Doch diese Erfahrungen nehmen uns nicht den Mut, wenn wir getrost und geduldig auf dem Weg bleiben! Und uns vom Geist Christi leiten lassen!

Gerhard Frey-Reininghaus