Gedenken der evangelischen Kirchen im heutigen Tschechien an Jan Hus

Gedenken der evangelischen Kirchen im heutigen Tschechien an Jan Hus

Am 2. Advent 2014 wurde in der altehrwürdigen Kirche St. Martin in der Mauer in der Prager Altstadt das Jan-Hus-Jahr eröffnet. Zu diesem liturgischen Beginn des Jan-Hus-Jahres hatten die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (EKBB) und die Tschechoslowakische Hussitische Kirche (THK) eingeladen. Gekommen waren Repräsentanten der verschiedensten Kirchen in der Tschechischen Republik wie auch Vertreter der Karlsuniversität und der Prager Selbstverwaltung. Geleitet wurde die Feier von den Repräsentanten der beiden einladenden Kirchen Synodalsenior Joel Ruml und Patriarch Tomáš Butta. Dass das Jan-Hus-Jahr für alle Kirchen in der Tschechischen Republik von Bedeutung ist, machte der Vorsitzende des Rates der Kirchen in der Tschechischen Republik Daniel Fajfr deutlich. Von der Römisch-Katholischen Kirche betonten Kardinal Miloslav Vlk und Bischof František Radkovský, wie wichtig für die Römisch-katholische Kirche das Gedenken an Jan Hus ist. Gleichzeitig brachten sie die Hoffnung zum Ausdruck, dass das Gedenken an den Reformator Jan Hus auch zur Gesundung der kranken tschechischen Gesellschaft beitragen könne, wie dies damals auch das Anliegen von Jan Hus war. Professor Jan Royt, Prorektor der Karlsuniversität, an der ja auch Jan Hus Rektor war, würdigte Jan Hus aus der Sicht des akademischen Bereichs. Dass auch der Bürgermeister der Prager Altstadt Oldřich Lomecký zu Wort kam, machte deutlich, dass das Jan-Hus-Jahr für Kirchen und Gesellschaft ein wichtiges Jahr werden soll.

Ein Jahr zuvor, im Advent 2013, hatten die Tschechoslowakische Hussitische Kirche und die Evangelische Kirche feierlich in einer Vereinbarung die Absicht erklärt, das Hus-Gedenken 2015 gemeinsam zu planen und zu gestalten – in Zusammenarbeit mit den anderen Kirchen in Tschechien und in Kooperation mit der Stadt Prag, mit der Karlsuniversität und weiteren Organisationen. In dieser Zusammenarbeit sollten auch Gedanken aufgenommen und weitergeführt werden, die in der Hus-Kommission diskutiert wurden, die schon im Jahr 2011 von der Tschechischen Bischofskonferenz und dem Ökumenischen Rat der Kirchen in Tschechien ins Leben gerufen wurde. In dieser Kommission trafen sich führende Theologen und Wissenschaftler, Vertreter von Schulen und Medien, um gemeinsam über das Hus-Gedenken im Jahr 2015 nachzudenken. Diese Kommission sollte die Gedanken aufnehmen, die beim Symposium über Jan Hus auf dem Boden der Päpstlichen Lateran-Universität im Dezember 1999 diskutiert wurden.

Inzwischen befinden wir uns in den ersten Monaten des Jan-Hus-Jahres, das seinen Höhepunkt am 5./6. Juli 2015 haben wird, denn der 6. Juli ist der Todestag von Jan Hus, der in Tschechien als Staatsfeiertag begangen wird. Doch vor diesen Jan-Hus-Feierlichkeiten werden Vorträge, Ausstellungen und andere Veranstaltungen verschiedenster Art stattfinden.

Von 9. bis 12. April 2015 findet eine Internationale Theologische Konferenz statt, die die EKBB in Zusammenarbeit mit der Evangelisch-Theologischen Fakultät und der THK in Prag veranstaltet. Eine Einführug in die böhmische Reformation gibt Peter Morée von der Evang.-Theol. Fakultät der Prager Karls-universität Den Hauptvortrag hält eine evangelische Expertin für das Spätmittelalter, Prof. Jana Nechutová von der Masaryk-Universität in Brünn zu der Frage, was das Erbe von Jan Hus für uns heute bedeuten kann. Zu Wort kommt auch Kardinal Dominik Duka, Prager Erzbischof und tschechischer Primas der römisch-katholischen Kirche. Doch auch die Sicht auf Jan Hus aus anderen Ländern und Kirchen soll zu Wort kommen. Ein Teil der Konferenz widmet sich dem Thema „Reformation und Säkularisierung“. Das einleitende Wort hat der Bischof Michael Bünker, der Generalsekretär der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE). Ihm folgen Prof. Fitschen aus Leipzig und der Tomáš Butta, der Patriarch der THK in Tschechien.

Sehr vielseitig wird das Programm am 5./6. Juli 2015 in Prag. Es ist für die breite Öffentlichkeit wie auch für alle Prag-Besucher bestimmt. Deshalb gibt es auch Veranstaltungen auf Deutsch und Englisch. Hauptort der Feierlichkeiten wird der Altstädter Ring sein, das Zentrum Prags um die Statue von Jan Hus, die dort gerade vor einhundert Jahren, zum 500. Todestag von Jan Hus im Herzen Prags aufgestellt wurde. Interviews mit Hus-Experten, Rezitationen von Hus-Texten und Musik verschiedenster Art wechseln einander ab. Höhepunkt wird ein ökumenischer Gottesdienst auf dem Altstädter Ring sein, dem ein Konzert der Jugend für Jan Hus und am Abend eine Aufführung des Oratoriums „Jan Hus“ von Richard Pachmann folgen.

In den Kirchen rund um den Altstädter Ring wird es Vorträge von Hus-Experten geben, ebenso Ausstellungen und Konzerte. In der evangelischen Salvátor-Kirche erklingt das Oratorium „Johann Hus“ von Carl Loewe (1796 bis 1869). Ausführende sind der Philharmonia Chor Reutlingen, die Betzinger Sängerschaft und das Ebinger Kammerorchester. In der Bethlehemskapelle findet der traditionelle Gottesdienst zum Todestag von Jan Hus statt. Für Jung und Alt gibt es eine Tour durch sieben Kirchen, die in einem Zusammenhang mit der Böhmischen Reformation und Jan Hus stehen.

Für Familien mit Kindern gibt es ein Programm auf dem Obstmarkt (Ovocný trh) unweit des Altstädter Rings. Von der Atmosphäre eines mittelalterlichen Marktes bis hin zu Mitmach-Angeboten für Kinder und Jugendliche ist hier Vieles zu finden.

Mit einem festlichen Abend im Gemeindehaus der Stadt Prag (Obecní dům) gehen die Hus-Feierlichkeiten am 6. Juli zu Ende. Erwartet werden zu diesen Feierlichkeiten Gäste aus ganz Tschechien und aus aller Welt.

Die Kirchen begleiten das Jahr auch publizistisch. Die EKBB gibt jedes Jahr ein Andachtsbuch „Für jeden Tag“ heraus. Dieses Andachtsbuch ist dieses Jahr Zitaten von Jan Hus gewidmet. Die Autorinnen und Autoren haben für jeden Tag ein Hus-Zitat ausgewählt. Manchmal spricht das Zitat für sich selber und der Autor hat dazu nur noch einen Bibeltext ausgewählt und ein kleines Gebet formuliert oder aber das Zitat ist mit einem eigenen Gedanken verbunden. Ein Versuch, die umfangreichen Werke von Jan Hus in kleinen Häppchen für die Gemeindeglieder aufzubereiten!

Ein Jugendbuch ist zur Zeit in Vorbereitung wie auch die tschechische Übersetzung einer Broschüre über Jan Hus, herausgegeben Dr. Uwe Hauser vom Religionspädagogischen Institut in Baden. Diese reich bebilderte Broschüre bietet Grundinformationen über Jan Hus und die böhmische Reformation. Schließlich ist auch ein Heft „Prag und Böhmen“ im Rahmen der Reihe „Orte der Reformation“ von der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig in Vorbereitung.

Die THK hat ein Büchlein von Patriarch T. Butta über Jan Hus herausgegeben unter dem Titel „Seznámení s Mistrem Janem“ (Sich Bekannt machen mit Meister Jan). Ein Buch unter dem Titel „Dopisy z Kostnice“ (Briefe aus Konstanz) von Jana Krajčiřková (Text) und Jana Wienerová (Illustrationen) will vor allem der jüngeren Generation die Geschichte von Jan Hus in Konstanz nahebringen.

Wichtig ist auch die Präsentation im Internet. Die EKBB stellt das Hus-Gedenken in eine ganze Reihe von Gedenkjahren zwischen 2013 und 2018 und präsentiert das im Internet unter der Überschrift „Naše reformace“, (Unsere Reformation). Diese Jahrestage wurden im Jahr 2013 mit dem 400. Jubiläum der sog. „Kralitzer Bibel“ begonnen. Diese Kralitzer Bibel ist die erste tschechische Übersetzung der Bibel aus den Originalsprachen durch ein Übersetzer-Kollektiv der alten Brüderunität, eine einzigartige Leistung, vor allem auch im Blick auf die Bedeutung der tschechischen Sprachbildung. 2014 war das 600. Jubiläum der Wiedereinführung des Abendmahls unter beiderlei Gestalt für alle, das die EKBB mit der THK und weiteren Kirchen gefeiert hat. Dem Gedenken an Jan Hus 2015 und Hieronymus von Prag 2016 folgt das Luther-Jahr 2017 und schließlich 2018 „100 Jahre Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder“ in ihrer heutigen Gestalt.

Die THK präsentiert im Internet ihr Hus-Triennium (www.Hus2015.cz) und eine gemeinsame Internetseite www.husovskeslavnosti.cz konzentriert sich auf die Feierlichkeiten am 5./6. Juli 2015.

Das Hus-Gedenken ist in vielen Beziehungen eine Herausforderung für alle, die sich auf die Mitgestaltung dieses Jan-Hus-Jahres eingelassen haben. Für die Evangelischen ist es dabei wichtig, sich immer wieder von neuem zu vergegenwärtigen, wie wichtig für Jan Hus die Ausrichtung auf Christus ist und auf die Wahrheit, die sich in ihm offenbart hat. Der bedeutende Kirchenhistoriker der Prager Comenius-Fakultät Amadeo Molnar hat die Bedeutung der Wahrheit für Hus so beschrieben: Nach Jan Hus ist jede Tat Christi eine Leitlinie für unser Entscheiden. … Nicht nur, dass wir die Wahrheit nicht in Lüge verwandeln dürfen, wir haben auch nicht das Recht die Wahrheit zu verschweigen. Auch in sehr praktischer Hinsicht hat die Wahrheit befreienden Charakter, die die Wahrheit selber vorzeichenhaft verkörpert. Die Freiheit ist die Atmosphäre der Wahrheit. In diesen Zusammenhang hat Hus unermüdlich die Aussage von Pseudo-Chrysostomos wiederholt: „Ein Verräter der Wahrheit ist, wer sie nicht frei dann ausspricht, wenn er sie frei sagen soll, oder wer sie nicht frei verteidigt, wenn es nötig ist sie frei zu verteidigen.“

Eine nicht wegzudenkende Forderung der Hus´schen Ethik ist die Verteidigung der Wahrheit als gesellschaftliche Tat. Die Wahrheit zu sagen oder nicht zu sagen ist nie folgenlos und ohne Bedeutung für die Nächsten, für die Gemeinschaft. Immens ist deshalb die Verantwortung der Priesterschaft, ihre Pflicht ist es, ihr Verhalten der souveränen Norm zu unterziehen, damit sie nicht anstößig ist für die ungebildete Menge. Rücksicht auf die Menge, auf die Zuhörer ist direkt eine konstitutive Komponente von Hussens Verantwortung für die Wahrheit. Die Ausdauer, mit der Hus in Konstanz dem Widerrufen widerstanden hat, hatte eine ihrer erfassbaren Quellen in der Befürchtung, dass er die Wahrheit verrät und zum Lügner wird, und das wie vor dem Angesicht Gottes, so vor der, der er predigte.“

Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass gerade die Frage der Wahrheit Christi auch für das Nachdenken des Zeitgenossen über den Weg der Kirche in die Zukunft wegweisend wird. Für das Hus-Jahr wurde ein Wettbewerb für ein Logo ausgeschrieben. Aus den über 30 Vorschlägen wurde ein Logo ausgewählt und dazu ein Spot zur Animation gemacht. Darin erscheinen einige Stichworte, für die Hus auch heute steht und Inspiration für die Gegenwart sein kann: Wahrheit, Mut des Glaubens, Bildung. Faszinierend ist für mich die Vorstellung, wie lebendig damals Lehrende und Studierende an der Prager Universität und in der Bethlehmskapelle, in der Jan Hus zehn Jahre lang Sonntag für Sonntag gepredigt hat, miteinander über die Erneuerung der Kirche diskutiert und gerungen haben. Das Ringen um die Wahrheit und den Weg der Kirche in der Krise war für Jan Hus und seine Mitstreiter zentral und ist auch heute eine Herausforderung für alle Christen und Kirchen. Dies gilt besonders auch im Blick auf die Evangelischen, denen das Ecclesia semper reformanda immer von zentraler Bedeutung war.

Dass das Hus-Gedenken eine ökumenische Herausforderung bedeutet, versteht sich von selbst. Wird das Jan-Hus-Gedenken etwas Neues im evangelisch-römisch-katholischen Miteinander bringen, das hinausgeht über die Worte von Papst Johannes Paul II., mit denen er sicher aufrichtig den grausamen Tod von Jan Hus bedauerte und für ein Heilen der Erinnerungen bedeutete? Der Ökumene-Beauftragte der römisch-katholischen Bischofskonferenz betont immer wieder, dass Jan Hus die Christen in Tschechien einen soll und nicht entzweien. Dafür sind auch die Evangelischen. Doch wie kann dies so geschehen, dass es mehr als ein gut gemeinter frommer Wunsch ist? Das Hus-Gedenken wird sicher manche Gelegenheit dazu bieten.

Im Jan-Hus-Jahr gibt es eine enge Verbindung zwischen Prag und Konstanz. Auch die Stadt Konstanz hat mit den Kirchen das Jahr 2015 zum Jan-Hus-Jahr gemacht, als „Jahr der Gerechtigkeit“. Dazu steht auf der Konstanzer Internetseite (www.konstanzer-konzil.de): Das „Jahr der Gerechtigkeit“ würdigt den tschechischen Theologen und Reformer Jan Hus. Hus, der nach Konstanz gereist war, um seine Lehren zu verteidigen, wurde am 06. Juli 1415 verurteilt und verbrannt. Ein Jahr später ereilte seinen Gefährten Hieronymus von Prag das selbe Schicksal. Internationale und ökumenische Gedenkveranstaltungen sollen an die beiden beständigen Männer erinnern und zur Auseinandersetzung mit Themen wie Toleranz, Umgang mit Andersgläubigen sowie Werten und ihrem Wandel anregen.“ Es gibt verschiedene Pilgerwege von Tschechien nach Konstanz und so auch ein gemeinsames Gedenken.

Eine weitere evangelische Initiative ist das Projekt „Tripolis“, in dem drei Städte der Reformation sich vorgenommen haben, der Reformation gemeinsam zu gedenken: Prag, Zürich und Marburg. Dieses Projekt soll auch dazu beitragen, die europäische Vernetzung des Reformationsgedenkens praktisch zu machen durch gegenseitige Einladungen und Begegnungen von Vertreterinnen und Vertretern der evangelischen Gemeinden in den drei Städten. Ein erster Schritt ist die Teilnahme von Vertretern der Evangelischen aus den drei Städten an der Internationalen Theologischen Konferenz in Prag.

Eine nicht zu unterschätzende Herausforderung ist die Zusammenarbeit mit der Stadt Prag. Den Vertretern der Kirchen wurde versichert, dass die Stadt Prag im Hus-Gedenken gerne mit den Kirchen zusammenarbeitet und dieses Gedenken auch finanziell unterstützt. Diese Zusammenarbeit wird dadurch erschwert, dass die politische Repräsentanz der Stadt Prag im Laufe der Vorbereitungen schon mehrmals gewechselt hat und dadurch immer wieder ein Neuanfang notwendig wurde. Es ist zu hoffen, dass die Zusammenarbeit ein würdiges Hus-Gedenken möglich machen wird.

Schließlich ist die Zusammenarbeit zwischen EKBB und THK eine Heraus-forderung für beide Kirchen, die doch sehr unterschiedliche Traditionen haben und nun gemeinsam an der Vorbereitung und Durchführung des Jan-Hus-Jahres einander besser kennenlernen und viele Entscheidungen gemeinsamen treffen müssen. Möge dieses Jan-Hus-Jahr ein Jahr der Begegnung mit dem Erbe von Jan Hus sein, das auch heute Mut macht zum Christsein und zur Erneuerung von Kirche und Gesellschaft.

Gerhard Frey-Reininghaus