Stolpersteine. Verneigen wir uns vor den Namen der Opfer

20. Juni 2024

Für die im Deutschen als Stolpersteine bekannten Gedenksteine gibt es im Tschechischen viele einfallsreiche und mehr oder weniger versteckt symboltragende Begriffe: Stein der Verschwundenen, Unfallstein (!), Stein zum Stolpern.  

Stolpersteine. Verneigen wir uns vor den Namen der Opfer
20. Juni 2024 - Stolpersteine. Verneigen wir uns vor den Namen der Opfer

Und über den Stolperstein kann man nicht nur stolpern, man soll es auch. Mit der Inschrift auf einer kleinen Messingplatte im Boden soll der Stolperstein, eigentlich eine kleine viereckige Betonfliese, uns an die Opfer der nationalsozialistischen Willkür erinnern und um die Inschrift zu entziffern müssen wir uns nach vorne neigen. Wir verneigen uns also vor den Namen der Opfer. Dabei geht es nicht nur um jüdische Opfer, sondern auch um Roma, Mitglieder des Widerstands oder auch Homosexuelle und andere „unbequeme“ Menschen. 

Die Idee dieser unauffälligen, aber eindringlichen Gedenktafeln an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entstand in Deutschland. Im Jahr 1995 gestaltete Gunter Demnig die ersten Stolpersteine, die in Köln und in Berlin in den Boden gelassen wurden. 

Die Stolpersteine befinden sich vor Häusern, in denen die in der Inschrift genannten Personen zuletzt lebten oder arbeiteten und sind in vielen europäischen Städten zu finden. Die ersten Stolpersteine in Tschechien entstanden im Jahr 2008 in Prag und in Kolín. Heute sind sie vielerorts zu sehen, zum Beispiel in Brünn, Ostrava, Třeboň, Olomouc, Kroměříž oder Liberec und zuletzt auch in Miroslav. 

Der in das Messing gravierte Name schreit. Es ist sehr sinnvoll und gut, dass es immer mehr Stolpersteine gibt. Schweigend schreien sie lauter aus eine brüllende Menge Nazis.  

Die letzte Stolpersteinlegung fand am Samstag, den 9. März in der Stadt Miroslav statt. Die Steine erinnern an Marta, Hana und Ruth Herzog und an deren Ermordung gemeinsam mit weiteren 3800 Gefangenen im Theresienstädter Familienlager in Auschwitz am 8. und 9. März 1944, vor genau 80 Jahren.

Miroslav gehörte zu den traditionell jüdischen Gemeinden Mährens und jüdische Bevölkerung ist hier seit dem 16. Jahrhundert dokumentiert. Der Name Herzog ist mit der jüdischen Gemeinde in Miroslav eng verbunden. Bereits seit 1825 lebten im damaliger Miroslaver Ghetto vier Familien mit diesem Namen, die noch bis heute in Miloslav anzutreffen sind.

Vor 100 Jahren, im Jahr 1924, heiratete Julius, Sohn von Heinrich und Fanny Herzog, seine Frau Marta, geborene Weinberger, mit der er drei Kinder hatte: die Töchter Hana und Ruth und Sohn Otto, der im Alter von nur drei Jahren infolge einer Tetanus-Erkrankung starb.

Nach dem Tod von Julius Vater im Sommer 1936 und der Verabschiedung des Münchner Abkommens flohen Marta und ihre Töchter Hana und Ruth Anfang Oktober 1938 zunächst nach Brünn und dann nach Prag, um den Gefahren, die Juden im Grenzgebiet drohten, zu entgehen.  Auch andere Juden aus Miroslav wurden Opfer der antijüdischen Verbrechen. Sie wurden aus ihren Häusern vertrieben und verloren ihr Hab und Gut.

Die folgenden vier Jahre verbrachte die Familie in Prag. Man weiß nicht, ob die Mädchen zur Schule gingen, denn die Möglichkeiten für jüdische Kinder waren sehr begrenzt.

Im Dezember 1942 wurden Marta, Hana und Ruth in Theresienstadt inhaftiert. Gemeinsam mit weiteren 5000 Gefangenen wurden sie im September 1943 nach Auschwitz deportiert und kamen dort ins Theresienstädter Familienlager. Binnen sechs Monaten starben von den ursprünglichen 5000 Gefangenen fast 1200. Bis auf wenige Dutzend wurden alle verbliebenen 3800 Gefangenen in der Nacht vom 8. auf den 9. März 1944 in den Gaskammern ermordet.

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Der erste Stolperstein Mährens wurde im Jahr 2010 in Brünn verlegt, weitere sind in Znojmo und Ivančice zu finden. In der Stadt Miroslav wurde nun zum ersten Mal ein Stolperstein verlegt. 

Die Mittel dazu hatten Schüler einer Miroslaver Grundschule im November und Dezember 2023 gesammelt. Für die Spender hatten sie traditionelle jüdische Hamantaschen gebacken. Tatsächlich gelang es mehr Geld zu sammeln als notwendig war, daher wird in Miroslav an weiteren Stolpersteinen gearbeitet. Die Steine wurden durch die Jüdische Gemeinde in Brünn vermittelt. Auch die derzeitigen Bewohner des Hauses, in dem die Familie Herzog lebte, war mit den Stolpersteinen einverstanden und unterstützte die Aktion tatkräftig. 

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An der Zeremonie zur Verlegung des Stolpersteins nahmen auch Jugendliche aus Spremberg in Brandenburg sowie Mitglieder der dortigen evangelischen Kirchengemeinde teil. Diese ist Partnergemeinde der Gemeinde der Böhmischen Brüder in Miroslav und reist schon seit den neunziger Jahren regelmäßig nach Miroslav um dort bei der Pflege des Jüdischen Friedhofs zu helfen. Am Freitag besuchten dann die deutschen und tschechischen Schüler gemeinsam das jüdische Denkmal in Boskovice. Auch in Spremberg wurden in den Jahren 2022 und 2023 die ersten Stolpersteine verlegt, was einer von vielen Impulsen war, die dazu beigetragen haben, dass nun auch ein Stolperstein in Miroslav zu finden ist.

Jana Plíšková, Daniela Bednaříková

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