Ehrendoktorwürde der Karlsuniversität Prag

20. Juni 2024

Am Dienstag, den 19. März, wurde den Professoren Oded Lipschits und Paul Robert Milgrom die Ehrendoktorwürde der Karlsuniversität Prag für ihren bedeutenden Beitrag zur Wissenschaft und zur langfristigen Zusammenarbeit mit der Universität verliehen. Die feierliche Zeremonie fand in der Großen Aula im Karolinum statt.

Ehrendoktorwürde der Karlsuniversität Prag
20. Juni 2024 - Ehrendoktorwürde der Karlsuniversität Prag

Am Dienstag, den 19. März, wurde den Professoren Oded Lipschits und Paul Robert Milgrom die Ehrendoktorwürde der Karlsuniversität Prag für ihren bedeutenden Beitrag zur Wissenschaft und zur langfristigen Zusammenarbeit mit der Universität verliehen. Die feierliche Zeremonie fand in der Großen Aula im Karolinum statt.

Oded Lipschits ist Professor für jüdische Geschichte in der biblischen Periode an der Universität Tel Aviv. Während seines Besuchs in Prag konnte er zwei Vorträge halten – einen mit dem Titel Following the Deuteronomistic Scribes hielt er im Rahmen eines Promotionsseminars an der Evangelischen Theologischen Fakultät der Karlsuniversität (ETF UK), einen weiteren, Jerusalem as a Symbol and in Reality, für die breite Öffentlichkeit im Barockrefektorium Dominikánská 8.

„Professor Lipschits ist ein weltweit anerkannter Experte auf seinem Gebiet. Die Ergebnisse seiner Arbeit tragen wesentlich zum verhältnismäßig radikalen Wandel unserer Vorstellung von der Geschichte des alten Judäa bei, der in den letzten Jahren stattgefunden hat. Seine zahlreichen Publikationen beinhalten sowohl Teilinformationen über neue Entdeckungen als auch – und dies ist besonders wertvoll – synthetische, interpretative Arbeiten, die einzelne Erkenntnisse zu einem kohärenteren Bild zusammenfügen“, so der Dekan der ETF UK Jan Roskovec bei der Verleihungszeremonie. 

Prof. Lipschits ist mit der ETF UK nicht nur aufgrund vieler gemeinsamer archäologischer Expeditionen in Israel verbunden, sondern vor allem auch durch eine langjährige Freundschaft und wissenschaftliche Zusammenarbeit.  Und natürlich war es die ETF UK, die ihn für diese Ehrendoktorwürde vorschlug.

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Professor Oded Lipschits mit seiner Familie

„Ausgewählte Studierende nehmen gemeinsam mit Lehrkräften aktiv an archäologischen Forschungen teil, eine gemeinsame theoretische Lehre findet statt und Professor Lipschits ermöglicht an seinem Institut Forschungspraktika für Lehrkräfte und Doktoranden, hält Vorlesungen in Prag, beteiligt sich an der Organisation von Fachkonferenzen und veröffentlicht gemeinsame Publikationen mit unseren Kollegen“, fügte Roskovec hinzu.

Im Folgenden lesen Sie ein Interview von Pavela Hubálková mit Prof. Lipschits für das Magazin der Karlsuniversität „Forum“.

In Ihrer Arbeit streben Sie nach einem kritischen und modernen Ansatz für das Studium der Bibel.  Wie würden Sie Ihre Forschung beschreiben?

Ich persönlich betrachte mich als Historiker. Ich interessiere mich für biblische Geschichte.  Für meine Forschung verwende ich zwei Hauptquellen – die Archäologie und die Bibel. Ich liebe diese Kombination und gleichzeitig ist sie ein Schlüsselfaktor meiner Arbeit.

Seit 20 Jahren mache ich jeden Sommer Ausgrabungen an Standorten in Judäa. Ich versuche immer größtmögliche Expeditionen durchzuführen, an denen mehr als 100 Studenten und Experten aus der ganzen Welt teilnehmen. Meiner Meinung nach ist dies der einzige Weg, wie wir genug Material bekommen können, um wirklich zu verstehen, was in der Vergangenheit passiert ist. Das ist immer eine ziemlich große Aktion. 100 Menschen müssen etwas zu essen haben, eine Unterkunft und einen Ort für die Verarbeitung von Funden, von denen es manchmal bis zu 250000 gibt. Manchmal nenne ich es eine Archäologiefabrik.

Der zweite Teil meiner Forschung ist im Gegensatz dazu sehr ruhig. Da verkrieche ich mich in Bibliotheken, schneide mich von der geschäftigen Welt ab und tauche voll und ganz in das Studium biblischer Texte ein. Ich versuche nicht nur, den biblischen Text zu verstehen oder zu analysieren. Ein modernerer Ansatz besteht darin, dass wir versuchen, den historischen Kontext zu nutzen, um darüber nachzudenken, was der Text aussagen sollte, warum er so und nicht anders geschrieben wurde, oder was darin absichtlich fehlt.  

Als Professor Filip Čapek von ETF UK 2008 zum ersten Mal an Ausgrabungen in Ramat Rachel teilnahm, begann auch Ihre langfristige und intensive Zusammenarbeit mit der Karlsuniversität. Was macht diese Zusammenarbeit so einzigartig?

Da ich mich mit der Bibliographie und der Geschichte der biblischen Periode beschäftige, ein Fachbereich, für den sich eher wenige interessieren, arbeitete ich von Anfang an mit europäischen Wissenschaftlern zusammen, vor allem aus Deutschland, aber auch aus anderen Ländern.

Ich freue mich sehr, dass wir hier an der Universität schon so lange und so intensiv mit den Kollegen des Zentrums für Biblische Studien zusammenarbeiten. Und ich freue mich immer sehr, wenn tschechische Kollegen an Ausgrabungen teilnehmen.  Ich denke Tschechen und Israelis haben viel gemeinsam. Wir denken nicht darüber nach, wer Professor ist und wer Student, sondern wir arbeiten immer zusammen und wir arbeiten auch hart – ich meine, physisch – die Arbeit vor Ort ist anstrengend. Jedes Mal, wenn ich erfahre, dass tschechische Kollegen zu Ausgrabungen kommen, freue ich mich sehr.

Welche der bisherigen Entdeckungen ist für sie am Bedeutsamsten?

Vielleicht klingt das überraschend, aber ich freue mich nie über die einzelnen Funde, mögen sie noch so schön oder bedeutend sein. Für mich ist das Gesamte viel wichtiger – der Zusammenhang. Mich interessiert, wie die einzelnen Funde ins Gesamtpuzzle passen, wie sie uns helfen die Geschichte in ihrem Kontext zu verstehen.

Ich verstehe. Was war also für Sie das bislang wichtigste historische „Puzzle“?

Dass ist definitiv der Ort Ramat Rachel, an dem wir mit tschechischen Kollegen zusammengearbeitet haben.  Es ist einer der schönsten Orte im biblischen Judäa, aber niemand hat sich das ordentlich angeschaut. Erst bei den Ausgrabungen haben wir nach und nach die Bedeutung dieses Ortes verstanden. Er entstand zu einer Zeit, als Judäa unter die Herrschaft der großen Reiche kam und zum Zentrum wurde, von dem aus Judäa Steuern zahlte.  Und weil die Einwohner von Judäa arm waren, brachten sie ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse hierher – vor allem Olivenöl und Wein – um sie gegen Silber einzutauschen, mit dem sie die Steuern dann zahlen konnten.  Wir fanden hier Tausende zerbrochene Gefäße, anhand derer wir die Funktion dieses Ortes verstehen konnten. Denn in der Bibel kommt dieser Ort nicht vor, obwohl er nur vier Kilometer von Jerusalem entfernt liegt, wo damals die Bibel entstand.  Das ist gutes Beispiel dafür, wie uns die Archäologie und die Kombination unterschiedlicher Ansätze ein Gesamtbild der Geschichte vermitteln.

Sie selbst haben in einem Interview mit der Jerusalem Post gesagt, dass der wichtigste Mensch in der Geschichte der Historiker ist.  Ist es nicht frustrierend, dass wir immer nur eine „korrigierte“ oder „unvollständige“ Version Geschichte kennen, wie sie Historiker aufzeichnen oder wie wir sie aus archäologischen Ausgrabungen rekonstruieren?

Ja, unser Wissen wird nie vollständig sein, aber wir versuchen immer, ein Bild zu erhalten, das so umfassend ist, wie es nur irgend geht.  In meinem Fall kombiniere ich jedwedes archäologische Material mit jedwedem historischen Material und allen Bibelgeschichten. Ich versuche immer, alles mit größter Sorgfalt zu analysieren und Informationen zu erhalten, die einem tieferen Verständnis dienen. Gleichzeitig müssen wir immer unsere Grenzen im Auge behalten, die Grenzen dessen, was wir wissen und was wir nicht wissen.  Bei jeder Ausgrabung muss man Entscheidungen treffen, wo man gräbt, wie viel und wann man aufhört – das ist sehr wichtig – vielleicht erhält man weitere Informationen, vielleicht ist es aber auch besser andere Orte zu überprüfen. Gleichzeitig ist es so, dass ich, je älter ich bin, immer mehr spüre, dass ich nie alles wissen werde, dass ich nur mit dem arbeiten kann, was mir zur Verfügung steht. Ich kann die Geschichte einer bestimmten Periode in der Geschichte Judäas beschreiben, aber ich muss dabei meine Grenzen kennen und bewusst mit ihnen arbeiten.

Neben der eigentlichen Forschung engagieren Sie sich auch aktiv in der Kommunikation mit der Öffentlichkeit. Ihr Podcast auf Hebräisch erreichte mehr als hunderttausend Zuhörer. Erst vor kurzem haben Sie auch eine englische Version dieser Serie herausgegeben, The Untold Story of the Kingdom of Judah. Was motiviert Sie dazu?

Ich plane auch ein Buch, weil ich denke, dass es in unserem Fachbereich nicht ausreichend Wissenschaftler gibt, die unser Wissen über die Bibel, Religion und Theologie, aber auch über Geschichte oder Archäologie der Öffentlichkeit nahebringen. Wir sollten als Akademiker nicht in unseren Elfenbeintürmen sitzen und sophistische Artikel und Bücher schreiben, die nur unsere Kollegen lesen. Unsere gemeinsame Vergangenheit interessiert wirklich viele Menschen auf der ganzen Welt und betrifft uns alle.

Schon vor vielen Jahren bot ich einen Online-Kurs, The Fall and Rise of Jerusalem, auf der Plattform Coursera an und es war ein voller Erfolg. Ich erhielt zum Beispiel viele E-Mails von Kirchen in Europa und Amerika, in denen sich die Menschen sonntags nach dem Gottesdienst versammelten, sich ein Kapitel zusammen ansahen und dann darüber sprachen.

Ich versuche immer, den Menschen näher zu bringen, wie wir Geschichte auf eine sehr einfache, aber kritische Weise lesen können. Ich versuche, Geschichte aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu zeigen. Das Thema an sich, denke ich, trägt zur Popularität bei – die Kraft der Bibel, der Theologie und der biblischen Periode.

Der Podcast ist dann ein wunderbarer Weg, die Menschen anzusprechen. Er ist kostenlos, die Menschen können ihn beim Kochen, im Fitnessstudio oder auf dem Weg zur Arbeit hören.  Die größte Belohnung ist, wenn Leute mir schreiben, dass sie auf dem Parkplatz sitzen und die letzten Minuten des Podcasts hören, weil ihr Weg zur Arbeit nur eine halbe Stunde dauert, sie aber den gesamten 40-minütigen Podcast hören wollen.

Sie interessieren sich, wie Sie oft sagen, seit Ihrer Kindheit für die alte Geschichte Israels.  Und doch die Frage, wenn Sie heute nochmal jung wären, was würden Sie studieren?

Genau das gleiche, ich würde überhaupt nichts ändern. Für mich war das wirklich seit frühester Kindheit ganz klar. Ich fühlte eine Art Verbindung zu diesem Land. Und ich glaube, ich weiß, warum. Mein Vater wurde 1939 in Rotterdam, in Holland, geboren. Als er zwei Jahre alt war, griffen die Nazis Holland an, und seine Mutter schickte ihn als Jüngsten in der Familie zusammen mit seinem Bruder weg, weil sie richtig schätzte, dass dies der einzige Weg war, sie zu retten. Der größte Teil der Familie starb in Auschwitz, nur mein Vater und sein Bruder überlebten.

Mein Vater wuchs in einer Pflegefamilie auf, er erinnerte sich an nichts. Nach dem Krieg fand ihn sein Bruder und schickte ihn als Siebenjährigen nach Israel, wo er ein zweites Zuhause fand, obgleich er die ursprüngliche Familie immer vermisst hat. Ich denke, es gibt eine psychologische Parallele darin, dass ich versuche, den Anfang, die Wurzeln unseres Volkes, unseres Glaubens zu suchen, und das finde ich genau hier und in meiner Arbeit.

Prof. Oded Lipschits, Ph. D.

Prof. Oded Lipschits, Ph. D. ist Professor für jüdische Geschichte der biblischen Periode am Lehrstuhl für Archäologie und Kulturen des Alten Orients an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Tel Aviv.  Er studierte Geschichte des alten Judentums und Archäologie an der Universität von Tel Aviv, mit der er auch durch den Großteil seines akademischen Wirkens verbunden ist. In den Jahren 2002 und 2003 arbeitete er als Forscher der Alexander von Humboldt-Stiftung an der Universität Heidelberg. Professor Lipschits war und ist Leiter mehrerer feldarchäologischer Forschungsprojekte hauptsächlich in den Bereichen Ramat Rachel, Tel Aseka und Tel Motza, die bahnbrechende Entdeckungen brachten und das Wissen über die Geschichte des biblischen Israels erweitern. Das Thema jüdische Geschichte der biblischen Periode kommuniziert er auch aktiv in die breite Öffentlichkeit, zum Beispiel durch Bücher, Online-Kurse oder Podcasts.  

Autor: Pavla Hubálková
Foto: Michal Novotný

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