Als Zeichen der Solidarität initiierte das Außenministerium der Tschechischen Republik vom 6. bis 8. Juni 2023 eine Reise der tschechischen Kirchen und Religionsgemeinschaften in die Ukraine.
Zu Ehren der Opfer des Massakers von Butscha fand in der dortigen St. Andreas Kirche ein religionsübergreifendes Gebet gemeinsam mit Vertretern der tschechischen und ukrainischen christlichen, jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften statt.
Der Besuch wurde von dem Sonderbeauftragten für den Holocaust, interreligiösen Dialog und Religionsfreiheit Robert Řehák geleitet. Darüber hinaus nahmen an der Reise Petr Jan Vinš, Generalsekretär des Ökumenischen Rats der Kirchen in der Tschechischen Republik, Pavel Pokorný, Synodalsenior der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder, Landesoberrabbiner Karol Sidon sowie Juristin und Sachverständige Ewelina Ochab teil. Die Delegation folgte der Einladung von Viktor Yelensky, Direktor des Staatlichen Dienstes für Ethnopolitik und Bekenntnisfreiheit, der in seiner Funktion als Vizepräsident der Internationalen Allianz für Religions- und Bekenntnisfreiheit (IRFBA) den Sonderbeauftragten einlud.
Am religionsübergreifenden Gebet am Fundort des Massengrabs in Butscha nahmen Vertreter der Orthodoxen Kirche der Ukraine, der Evangelischen Kirchen, der Katholischen Kirche, der Jüdischen Gemeinde sowie der Muslime aus den Reihen der Krimtataren teil.
In Kyiv nahm der stellvertretende Außenminister Andrij Melnyk die Delegation in Empfang und lobte die tschechische Unterstützung seit Beginn der russischen Invasion. Zum Abschluss der Reise fand ein Treffen mit dem Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius von Kyiv und der ganzen Ukraine, statt, der der Delegation von den Hauptschwierigkeiten der Glaubensgemeinschaften im vom Krieg gebeutelten Land berichtete.
Autor: Außenministerium der Tschechischen Republik/Ökumenischer Rat der Kirchen in der Tschechischen Republik
(Autor: Pavel Pokorný, Synodalsenior EKBB)
Von der polnischen Grenze aus fahren wir in einem modernen, bequemen Zug nach Kyiv. Am Fenster fliegt eine sonnendurchflutete Landschaft vorbei. Wiesen, Felder, Wirtschaftshütten, Mischwälder. Dorflandschaften. In der Ferne glitzern die goldenen Kuppeln der orthodoxen Kirchen. Am Stadtrand von Lviv tauchen moderne Siedlungen auf, verschachtelt und bunt. Nur an den Eisenbahnbrücken erinnert die Präsenz eines Wachpostens uns daran, dass dieses Land sich gerade im Krieg befindet. Immer in Alarmbereitschaft…
Bis in den späten Abend hinein pulsiert in Kyiv die Hektik der Großstadt. Verkehr, Geschäfte, Kirchen, alles läuft seinen Gang. Lediglich die Statuen auf den Plätzen sind mit Holzplatten und Sandsäcken bedeckt. Die Flugabwehr schafft es zwar fast alle russischen Raketen noch in der Luft abzuschießen, deren fallenden Trümmer jedoch können so groß sein wie ein halbes Auto. In Kyiv gibt es fast jeden Tag Luftalarm. Kaum dass in Belarus ein mit Raketen beladenes russisches Flugzeug startet, löst die App Air Alert auf dem Smartphone eine Warnung aus. Auf einer Karte kann man sehen, wohin das Flugzeug fliegt und innerhalb welchen Zeitraums der Raketenbeschuss zu erwarten ist. Manchmal bleiben nur Minuten für die Flucht in den Bunker. Unser Hotel hat einen Bunker in der Tiefgarage. Es ist kein angenehmer Ort. Man sitze dort viele nächtliche Stunden bis der Alarm endlich aufgehoben ist.
Die Mitarbeiter der tschechischen Botschaft in Kyiv leiden unter chronischem Schlafmangel. Sie sagen, dass es schon mehrere Monate her sei, seit in Kyiv das letzte Mal an zwei Tagen infolge kein Alarm ausgelöst worden sei. Erst bei unserem Besuch wieder. Und kaum sitzen wir in unserem Zug gen Heimat, schrillen in Kyiv wieder die Sirenen. Wir denken an die Kyiver…
Auf dem Sophienplatz befindet sich eine Mauer mit den Namen und Fotos der Gefallenen. Sie fängt an im Jahr 2014 und zieht sich soweit das Auge reicht. Nur ein Stückchen weiter eine Plakette mit der Inschrift: „Hier wurden am 28. September 1914 die Freiwilligen der Tschechischen Kompanie vereidigt und ihre Fahne geweiht. Dies markierte den Beginn der Streitkräfte der zukünftigen Tschechoslowakischen Republik.“ Sieh einer an. Und wir hatten gehört, dass die Tschechoslowakischen Legionen in Russland gegründet wurden...
Ungefähr 25 km westlich von Kyiv liegt das Städtchen Butscha. Eine typische Vorstadt. Hier wurde nicht gekämpft. Die Häuser sind nicht zerstört. Die russische Armee besetzte Butscha während ihres Angriffes aus Belarus in den ersten Invasionstagen im Februar 2022 kampflos. Aber auf dem Fluss Irpin vor Kyiv wurde sie von der ukrainischen Armee gestoppt. Doch auch die Enttäuschung, dass der erwartete glorreiche und leichte Sieg nicht eintrat, kann die unbeschreiblich grausame Folter und Ermordung von Zivilisten in Butscha durch die russische Armee nicht erklären. Wir waren vor Ort. Wir haben mit Überlebenden gesprochen. Wir haben die Massengräber gesehen, die sorgfältige Dokumentation seitens der internationalen Experten und Journalisten, als die russische Armee Butscha verlassen hatte. An der Tat und ihrem Ausmaß kann kein Zweifel bestehen. Wir weinten und beteten. Orthodoxe, Pfingstler, Juden, Muslime, Protestanten, Katholiken, Altkatholiken gemeinsam. Auch diejenigen, die sich zu keiner Religion bekennen. In dem innigen Wunsch nach Gerechtigkeit ohne Spuren des Hasses…
Weitere persönliche Geschichten und Augenzeugenberichte konnten wir bei unserem Besuch der Pfingstgemeinde in Hostomel hören. Dort spielte sich einer der ersten Kämpfe um den Flughafen ab. Noch heute sind die Folgen zu sehen, zerstörte Gebäude. In die Seelen der Menschen können wir nicht schauen. Wir können nur erahnen, dass die Kriegstraumata viel schwieriger und langwieriger zu beheben sind als die Gebäudeschäden...
Der stellvertretende ukrainische Außenminister Andrij Melnyk sagt uns, dass die Ukrainer sich der Hilfe aus Tschechien sehr wohl bewusst sind. Eine außergewöhnliche Hilfe, da sie so schnell kam und von gewöhnlichen Leuten angestoßen wurde. Es wird in unseren Lehrbüchern über euch geschrieben werden, sagt Melnyk. Anschließend sprechen wir darüber, wie schwierig es ist, den negativen Einfluss der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats einzuschränken und zu vermeiden, dass dieser Schritt als Einschränkung der Religionsfreiheit interpretiert wird.
Der Metropolit Epiphanius, Oberhaupt der Orthodoxen Kirche der Ukraine, erzählt wie das Kloster St. Michael in den Kämpfen auf dem Kyiver Maidan 2013 und 2014 zum Zufluchtsort für Studenten und Verletzte wurde. Wenn Russland gewinnt, hört die Ukraine auf zu existieren. Und immer wieder kommt mir der Gedanke, dass Butscha ein Vorort von Prag ist...
Pavel Pokorný, Synodalsenior EKBB
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