Unsere Gesellschaft befindet sich in einer schwierigen Phase.
Als sie nach zwei Jahren der Angst und der pandemischen Isolation langsam wieder aufzuatmen begann, kam der Krieg in einer Form, von der viele Europäer dachten, dass sie nach dem „verrückten 20. Jahrhundert“, wie Ivan Klíma schreibt, nicht auf den alten Kontinent zurückkehren könnte. Er erschütterte selbst die stärksten Individuen und betonte noch mehr die Notwendigkeit, sich um die eigene innere Stabilität zu kümmern. Aus diesem Grund wurde an der Karlsuniversität das Zentrum für Seelenpflege errichtet, an das sich alle Studentierenden und Mitarbeitenden der Universität mit ihren Zweifeln, Fragen und Ängsten wenden können. Die Türen des Zentrums sind aber auch für die breite Öffentlichkeit geöffnet. Symbolisch hat es deshalb auf dem Campus Hybernská, einem gemeinsamen Zentrum der Karlsuniversität und der Stadt Prag, ein Zuhause gefunden.
Den Begriff „Seelenpflege“ haben die Autoren der Idee zur Errichtung eines Universitätszentrums unter der Leitung von Professorin Ivana Noble von Jan Patočka und Platon übernommen. Beide Philosophen verstanden darunter die Pflege für das Inneren des Menschen und „die unterste Welle unseres Lebens, wo all unsere Beziehungen, Wünsche, Frustrationen und auch alles, was in unserem Leben schiefgelaufen ist, zusammentreffen“, wie Ivana Noble, Professorin an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität, Leiterin des Ökumenischen Instituts der ETF UK und nun auch des Zentrums für Seelenpflege, erklärte.
Das Zentrum befindet sich auf dem Campus Hybernská
Seltsamerweise fand das Team die Inspiration für die Einrichtung eines interdisziplinären und interreligiösen Zentrums, das sich auch Menschen annimmt, die keiner Religion angehören, nicht in renommierten ausländischen Universitäten, die in der Regel über gut geführte Seelsorgestellen verfügen, die aber immer eng mit einer Kirche verbunden sind, sondern in westlichen Gefängnissen und Krankenhäusern. Die Pandemie hat dann gezeigt, wie notwendig solche Zentren sind.„Für uns war die Zeit der Pandemie ein entscheidender Punkt, denn wir sahen, dass sich bei unseren Studierenden neue Fragen auftaten, nicht nur im psychologischen Bereich, sondern auch in Bezug auf die eigenen Werte und die Frage, wo man eigentlich hingehört, wenn man physisch von anderen isoliert ist.“
Pflege in Tschechisch, Portugiesisch und Ukrainisch
Obwohl das Zentrum auf einer spirituellen Grundlage basiert, betont das Team, dass es für Mitglieder aller Kirchen und Glaubensrichtungen sowie für Nichtgläubige offen ist. Das Team bietet seine Dienste nicht nur auf Tschechisch, sondern auch auf Englisch, Italienisch und Portugiesisch an und arbeitet mit Geistlichen zusammen, die Ukrainisch sprechen.
Spirituelle Unterstützung
Das Basisprogramm des Zentrums ist die spirituelle Begleitung, d.h. die Möglichkeit zur Begegnung und zum Gespräch mit ausgebildeten Geistlichen. „Das Seelenleben“, so wie wir es verstehen, spielt sich ab in Beziehungen zu anderen Menschen, zur Natur, zur Kultur, zur politischen Realität, und das mit einer Transzendenz, die Gläubige Gott nennen und die für sie ein persönliches Gesicht hat, von der aber alle Menschen in irgendeiner Weise berührt werden. Viele der Geistlichen, die sie begleiten, haben eine Ausbildung in der Psychotherapie und zum Team gehört auch ein Psychiater. Natürlich gibt es auch eine Zusammenarbeit mit psychologischen Beratungsdiensten.
Gemeinsame Meditation
Einmal im Monat wird es auf dem Hybernská-Campus auch gemeinsame Meditationen für die Öffentlichkeit geben. "Wir haben erfahrene Meditationsleiter, die zum Beispiel sowohl christliche als auch buddhistische Praktiken anwenden und den Menschen auf sehr offene Weise helfen können, einen stabilen Punkt im Leben zu finden, auch Menschen mit sehr problematischem Hintergrund, wie zum Beispiel ukrainische Flüchtlinge", betonte Professorin Noble. „Ich hoffe, dass wir Themen wie Hoffnung und Empathie auf konkrete Weise ansprechen können. Dass wir die Menschen treffen, denen der Krieg ihre Heimat oder ihre Angehörigen genommen und ihr Leben zerstört hat. Als der Krieg in der Ukraine begann, halfen viele unserer Mitarbeitenden in vorderster Linie und wir bekamen einige sehr deutliche Rückmeldungen darüber, was sie erlebten. Darüber hinaus arbeiten wir direkt mit ukrainischen Flüchtlingen zusammen. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem das Thema des Krieges nicht das einzige ist, was den Migranten bleibt. Die ukrainischen Flüchtlinge brauchen eine Beschäftigung. Es geht darum, etwas zu schaffen und den eigenen Wert zu erfahren, der nicht nur auf Mitleid beruht. Und das kann uns anderen helfen, das größere Bild zu sehen und ihre Erfahrungen mit anderen Problemen hier in Verbindung zu bringen“, betonte Professorin Noble.
Seelenhygiene nicht vergessen
Und wie kümmert sich die Leiterin des Zentrums, Professorin Ivana Noble, um ihre Seele? „Ein großes Thema ist für mich Zeit. Sich Zeit für Meditation zu nehmen, um den Fluss des Tages zu beruhigen und in einer anderen Gegenwart zu atmen, um darüber nachzudenken, was ich tue und was in meinem Leben vor sich geht. Da ich Pfarrerin bin, sind mir die sonntäglichen Rituale wichtig, nicht nur die Gottesdienste, sondern auch eine Form der Ruhe. Einmal im Jahr machen mein Mann und ich ein wöchentliches Retreat, das ist eine großartige Hygiene für die Seele. Es ist auch wichtig für mich, mir Zeit für Freunde zu nehmen. Wenn ich der Worte überdrüssig werde, male ich. Ich entspanne mich sehr beim Malen, es ist eine Art inneres Gespräch, ein Gebet für mich. Mir gefällt die Tatsache, dass einige griechische Kirchenväter dasselbe Wort für Aufmerksamkeit und Gebet verwendet haben – für mich ist das Gebet die Aufmerksamkeit für Gott und für das Leben in seinen Einzelheiten.“
Helena Zdráhalová; Photo Michal Novotný; redaktionell gekürzt
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