Unter blau-gelbem Regenbogen helfen Studenten der Prager Karlsuniversität

7. Dezember 2022

#Fakultät „Gerade ist Tschechisch vorbei, sie gehen jetzt auf den Spielplatz. Nachmittags ist das Programm immer unterschiedlich, wir haben Hip-Hop-Kurse oder Theater. Ein paar Mal in der Woche gibt es auch Hundetherapie“, beschreibt der Student der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität Matěj Šulc das Programm für die Kinder.

Unter blau-gelbem Regenbogen helfen Studenten der Prager Karlsuniversität
7. Dezember 2022 - Unter blau-gelbem Regenbogen helfen Studenten der Prager Karlsuniversität

Er ist einer der Hauptkoordinatoren im Zentrum für Geflüchtete im Prager Stadtteil Chodov und gehört zu jenen, die gleich nach dem Überfall des putinistischen Russlands auf die Ukraine Wege suchten, wie man Geflüchteten helfen konnte.

Neuankömmlinge fühlen sich wie im Labyrinth, wenn sie das mehrstöckige Verwaltungsgebäude inmitten der Siedlung im Prager Stadtteil Chodov betreten. Auch wenn sich eine Bürotür an die nächste reiht und alte Namensschilder von früheren Besitzern zeugen, kann kein Zweifel daran bestehen, dass es sich hier um ein Zentrum für Kinder handelt. Die Wände sind mit Tierbildern und Kindermotiven beklebt und neben den vielen grellbunten Farben tauchen auch zweifarbige Regenbogen auf - in blau und gelb. Ehemalige Werbetafeln der Firma, die das Gebäude kostenlos für das Zentrum zur Verfügung stellt, wurden in Ausstellungsflächen für Kinderzeichnungen verwandelt. Als wir gemeinsam durch das endlose Labyrinth aus Korridoren und Türen gehen, zeigt Matěj auf eins dieser Bilder - die Zeichnung eines Panzers, auf dessen Kanonenlauf der junge Künstler eine Friedenstaube gemalt hat.

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„Im April war hier nichts, bloß kahle Wände und ein paar übrig gebliebene Büromöbel. Die Räumlichkeiten an die Bedürfnisse von Kindern anzupassen und entsprechend auszustatten war unsere allererste Aufgabe. Die meisten Möbel haben am Anfang Freiwillige aus unserer Fakultät hier her gebracht“, grinst Matěj bei dem Gedanken an die viele Arbeit, die sie in den letzten vier Monaten im Zentrum geleistet hatten.

Bald holte er seine Kommilitonin Eliška Roll dazu, um in Chodov auszuhelfen. „Es gibt hier so viel Arbeit, dass wir noch mindestens eine weitere Person bräuchten, aber dafür ist leider kein Geld da“, sagt Matěj.

Er selbst kam über Umwege in das Zentrum, das von der Organisation Hilfe für Flüchtlinge (Organizace pro pomoc uprchlikům) betrieben wird. Zunächst half er als Freiwilliger am Hauptbahnhof den neu ankommenden Geflüchteten bei der ersten Orientierung.

Heute kommen in das Zentrum in Chodov täglich etwa 150 Kinder (die meisten aus dem Osten der Ukraine) im Alter von 3 bis 15 Jahren. Neben der tschechischen Sprache lernen sie lokale Gegebenheiten und die tschechische Kultur kennen, machen Ausflüge in Prag, gehen in Ausstellungen und Museen.

Im Zentrum arbeitet auch eine Psychologin direkt aus der Ukraine. Es finden regelmäßig sowohl Hunde- als auch Kunsttherapie statt, erklärt Eliška. „Wir müssen mit den Kindern sehr behutsam arbeiten. Wir wissen schließlich nicht, was sie durchgemacht haben. Es ist beispielsweise passiert, dass wir ins Kino gegangen sind und sobald das Licht ausgegangen ist, hat eins der kleineren Kinder entsetzlich angefangen zu weinen. Man weiß im Vorfeld nicht wirklich, was bei den Kindern Angst auslöst.“

Die Kinder sind ihrem Alter entsprechend in zwei Gruppen aufgeteilt und in jeder ist immer mindestens ein Erwachsener, der Russisch oder Ukrainisch spricht. Eine der Gruppen leitet Dimitrij aus Russland (Nachname aus Sicherheitsgründen nicht genannt, Anm. d. Red.), der im Herbst sein Studium an der Theaterfakultät DAMU in Prag aufnimmt. „Zunächst habe ich mich mit den Kindern darüber unterhalten woher ich komme und warum ich hier bin. Sie haben das ganz vorurteilsfrei aufgenommen“, lacht er. Seit einem Jahr lebt er bereits in der Tschechischen Republik. „Ich wollte nicht in Russland leben, ich kann dort nicht sagen, was ich denke. Ich habe aber noch meine Mama und meine Schwester in Russland. Wenn ich meine Mama anrufe und wir über den Krieg in der Ukraine sprechen, wiederholt sie genau das, was sie in den offiziellen Medien hört“, sagt er und seufzt.

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Im Zentrum treffen die Kinder auch auf Praktikanten aus Amerika und weitere Menschen aus anderen Ländern. So unterrichtet Lamis Alhajaleh aus Syrien einige der Kinder in Tschechisch. „Ich lebe bereits seit 18 Jahren hier. Meine eigene Erfahrung als Ausländerin Tschechisch zu lernen hilft mir vielleicht manchmal die Kinder besser zu verstehen. Aber sie machen das insgesamt sehr gut. Auch wenn manche nicht unbedingt motiviert sind die Sprache zu lernen, weil sie denken, dass sie bald wieder heim in die Ukraine gehen“, fügt sie hinzu.

Auch Matěj sagt, dass viele Kinder im Zentrum auf eine baldige Rückkehr hoffen. Die meisten allerdings haben sich schon an einer tschechischen Schule angemeldet. „Dennoch haben wir immer noch Kinder hier, bei denen das nicht geklappt hat. Wir rechnen damit, die Anzahl der Kinder im Zentrum kontinuierlich zu reduzieren, falls nichts Unvorhergesehenes passiert“, erläutert Matěj und fügt hinzu, dass der Betrieb des Zentrums nur aufgrund der finanziellen Unterstützung des Schulministeriums und von privaten Spendern möglich sei.

„Die Unsicherheit, mit der hier alle leben ist für mich eine der eindrücklichsten Erfahrungen. Wir haben eine Erzieherin aus der Ukraine hier. Von dem Gehalt, das sie hier bekommt, muss sie vier Kinder versorgen. Lange Zeit wussten wir nicht, ob unser Zentrum weiter Geld bekommt und wir es weiterführen können. Immer wieder kam sie zu mir und fragte nach und ich wusste einfach nicht, was ich ihr sagen sollte. Außerdem ist ihre Wohnung ausgelaufen, zwei Kinder haben keinen Platz in der Schule bekommen und ihre Heimatstadt Schytomyr wurde beschossen. Sie macht eine so existentielle Unsicherheit durch, das ist anders als alles, was wir je erlebt haben“, so Matěj.

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Beide Koordinatoren erleben immer wieder ähnliche Momente, die den Menschen derart erschüttern, dass der eigene Lebensstandpunkt komplett neu betrachtet wird.  Auch Eliška erinnert sich an einen solchen Moment. „Als ich angefangen habe hier zu arbeiten, hat mich ein augenscheinlich einfacher Satz schwer berührt: ,Heute haben sie angefangen Severodonetsk zu beschießen.' An dem Tag hat einer der kleinen Jungs komplett aufgehört zu sprechen. In diesem einen Satz steckte das gesamte Trauma, das die Kinder durchmachen. Umso mehr müssen wir uns bemühen zu helfen. Es freut uns, dass auch nach den vielen Monaten, die der Krieg jetzt andauert, immer noch viele Menschen zu uns kommen, die helfen wollen.“

Autor: Helena Zdráhalová (von der Redaktion gekürzt), Foto: Vladimír Šigut

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