#EKBB Pavel Pokorný (1960) war von 2000–2021 Pfarrer der Gemeinde Prag-Střešovice und zuvor in Trutnov (1987–1999), wo er seinen Pfarrdienst nach Studium und Grundwehrdienst begonnen hat. Während eines einjährigen Auslandsaufenthalts in den USA widmete er sich v.a. der Seelsorge. Er war ebenfalls als Krankenhausseelsorger für das mobile Hospiz „Cesta domů“ (übersetzt: „Heimweg“) tätig. Pavel Pokorný ist verheiratet und hat vier Kinder.
Warum sind Sie ein Synodalsenior und kein Bischof? Gibt es inhaltliche Unterschiede? Ist es nicht weniger öffentlichkeitswirksam?
Die tschechische evangelische Tradition bemüht sich seit dem Toleranzpatent, sich von den Katholiken zu unterscheiden. Bestimmte antiklerikale Töne kann man schon in der alten Brüderunität spüren, wo man anstatt von Bischof von „Senior“ redet. Inhaltlich gibt es wesentliche Unterschiede zwischen einem katholischen Bischof und einem Synodalsenior hinsichtlich Kompetenz, die dem Bischof vielmehr Autorität und Rechtskompetenz gibt, während der Synodalsenior eine Stimme unter sechs Mitglieder vom Synodalrat hat. Der Titel Synodalsenior ist freilich für die säkulare Öffentlichkeit kaum verständlich. Es ist allerdings die Frage, ob „Bischof“ besser wäre! Ich hoffe jedenfalls, dass die Wirksamkeit des Wortes nicht von einem Titel abhängig ist.
Tschechien ist eines der säkularsten Länder in Europa. Wie nimmt die tschechische Gesellschaft die Stimme der Kirche wahr?
Es scheint mir, dass es für die Mehrheit unserer Gesellschaft fast gleichgültig ist, was eine Kirche sagt. Es kann sein, dass die Stimme der katholischen Kirche, besonders des Erzbischofs in den Medien doch ein bisschen mehr als die Stimme der anderen kommentiert wird. Oder es werden auch solche Worte wahrgenommen, die in einen bestimmten politischen Zusammenhang hineingezogen werden können. Ich bin nicht sicher, ob es wünschenswert ist, mehr in Medien zitiert zu werden. Mein Wunsch vor allem ist, dass die Stimme der echt evangelischen Predigt bei denen wahrgenommen wird, die sie hören.
Wie wirkt sich das Kleiner werden der Kirchen auf die Ökumene aus?
Es ist schwierig zu sagen. Es scheint mir, dass wir alle wissen, wie die Realität ist, aber es ist für uns nicht einfach, sie völlig zu akzeptieren. Noch schwieriger ist, etwas zu verändern. Auch in Richtung einer engeren ökumenischen Zusammenarbeit. Auf lokaler Ebene kann es allerdings ab und zu besser sein als auf der Ebene der Kirchenleitungen.
Das Restitutionsgesetz in Tschechien sieht vor, dass die Kirchen nach geleisteten Entschädigungszahlungen durch den Staat sich selbst finanzieren sollen. Ab wann? Wie kommt die EKBB mit der finanziellen Verselbstständigung voran?
Seit der Verabschiedung des Gesetzes im Jahr 2012 bekommen die Kirchen schrittweise weniger Betriebszuschuss vom Staat. Dieser Zuschuss wird im Jahr 2030 enden. Die Entschädigungszahlung wird im Jahr 2043 enden. Also danach wird die Kirche schon völlig selbst finanziert werden. Die EKBB bereitet sich auf diese Situation schon längere Zeit vor. Wir lernen als Ortsgemeinden eigene Verantwortung zu haben. Alle Mitglieder, die ein eigenes Einkommen haben, sind dazu herausfordert, 5% davon als Kirchensteuer zu bezahlen. Jedes Jahr geben wir 16,5 % der staatlichen Entschädigungszahlungen den Gemeinden für konkrete Diakonie-, Entwicklungs- oder Ökologieprojekte. Die meisten Mittel werden in Investitionsfonds angelegt. Wir erwarten, dass der Ertrag in Zukunft zum Teil die Lohnkosten bedeckt.
Sind Überschwemmungen, Tornados und andere Folgen der Klimaerwärmung in den Gemeinden bzw. auf der Ebene der Synode der EKBB ein Thema?
Die Synode hat schon im Jahr 2019 eine Erklärung zu den Klimaänderungen angenommen. Der Beratungsausschuss des Synodalrates für Ökologie ist sehr aktiv und spricht die Gemeinden mit vielfaltiger Inspiration an. In der Fastenzeit, z.B. gibt es die Kampagne „In die Kirche mit dem Rad“ (anstatt mit dem Auto). Die Gemeinden reagieren unterschiedlich. Manche nehmen diese Anlässe wahr, andere sind eher passiv.
Die EKBB hat einen Pfarrer für Minderheiten. Wo sind die größten Herausforderungen im Hinblick auf Minderheiten in der tschechischen Gesellschaft?
Ich sehe vor allem drei Bereiche. Erstens, das Verhältnis zu den Roma. Es gibt Vorurteile, Angst, Distanz oder sogar Feindlichkeit von beiden Seiten, auch unter Christen. Wir haben dem Ökumenischen Rat in der Tschechischen Republik einen Anstoß gegeben, eine ökumenische Arbeitsgruppe für Roma einzurichten, aber es geht ziemlich langsam und mühsam voran. Zweitens, die LGBT+ Menschen. Seit zwei Jahren arbeitet eine Kommission, die von der Synode der EKBB beauftragt wurde, daran, die die biblische, aber auch die biologische und psychologische Forschung in dieser Hinsicht zu sammeln und der Kirche zu vermitteln.. Unser Anliegen in diesem Moment ist, dass die Stimme von LGBT+ Menschen gehört und ein offenes Gespräch geführt wird. Drittens, der interreligiöse Dialog. Es ist besonders dringend im Bezug auf Muslime. Obwohl es zur Zeit nicht viele bei uns gibt, kennen wir zahlreiche Zeugnisse von Diskrimination und Hass, die einige Muslime, besonders Frauen in unserer Gesellschaft erleben.
Welche Schwerpunkte sehen sie für Ihre Arbeit und welche Herausforderungen sehen Sie aktuell im Blick auf die Zukunft der EKBB?
Vor allem geht es um den Geist, der die Kirche belebt. Ich sehe an vielen Orten Angst, Geschlossenheit, Selbstverteidigung. Abgesehen von den Mitgliederzahlen oder der ökonomischem Lage, können die Kirchengemeinschaften Vertrauen, Hoffnung und Liebe ausstrahlen. Das Evangelium als Quelle und Perspektive darf nicht vergessen werden. Wir alle brauchen Ermutigung zum Glauben. Ich sehe die Aufgabe der Kirche in dieser Zeit vor allem in der Seelsorge, die sich nicht nur auf eigene Mitglieder begrenzt, sondern alle Bedürftige umfasst. Das müssen wir in Ortsgemeinden lernen. Ich möchte Ausbildung in diese Richtung unterstützen. Ich sehe ein hoffnungsvolles Potenzial in der Seelsorge in Gefängnis, Armee, Krankenhäusern, Sozialdienst, die schon eine Erfahrung mit Seelsorge in säkularer Umgebung hat.
Neben den Sorgen um die eigene Existenz müssen wir die gesellschaftlichen Fragen beobachten und im Gespräch mit unseren ökumenischen Partnern fortfahren.
Mit freundlicher Genehmigung übernommen aus Evangelisch weltweit 4/2021, dem Magazin des Gustav-Adolf-Werkes, und leicht überarbeitet.
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