Die Evangelisch-Theologische Fakultät hat einen neuen Dekan - Ein Interview mit Jan Roskovec

1. Juli 2022

#Fakultät  Nach acht Jahren verlässt Dozent Jiří Mrázek die Leitung der ETF UK und wird von seinem Kollegen aus dem Fachbereich Neues Testament, Dr. Jan Roskovec, abgewechselt. Dieser übernahm die leitende Position heute nach der Ernennung durch die Rektorin Milena Králíčková. Einer der Pläne, die er gerne umsetzen würde, ist die Einführung eines spezialisierten Research Master Programms.

Die Evangelisch-Theologische Fakultät hat einen neuen Dekan
1. Juli 2022 - Die Evangelisch-Theologische Fakultät hat einen neuen Dekan - Ein Interview mit Jan Roskovec

Sie sind vom Prodekan für Ökumene- und Auslandsbeziehungen zum Dekan aufgestiegen, der ehemalige Dekan Jiří Mrázek ist sogar ein Kollege aus ihrer akademischen Abteilung. Sie haben also in den letzten Jahren gesehen, was diese Position mit sich bringt. Warum haben Sie sich entschieden zu kandidieren?

Kandidieren ist für unser Umfeld ein etwas zu starkes Wort. Angefangen darüber nachzudenken, habe ich, als mich der akademische Senat der ETF UK ansprach, ob ich eine Kandidatur annehmen würde. Bei uns auf der Fakultät läuft es so ab, dass der Senat vor der Wahl eine Meinungsumfrage macht und jeder kann dann eine Person vorschlagen, den er oder die er gerne als Dekan hätte. Die Senatoren sprechen dann die vorgeschlagenen Kandidaten an. So kamen sie auch zu mir und ich hatte keine ernsthaften Gründe, warum ich nicht kandidieren sollte.

A

Welchen Weg sollte die Fakultät unter ihrer Leitung einschlagen?

Schon vor der Wahl habe ich angedeutet, dass ich keinen Grund sehe, die Richtung, welche die Fakultät anstrebt, irgendwie grundsätzlich zu ändern. Die Fundamente des Weges sind durch die Natur unserer Arbeit gegeben, das heißt auf der einen Seite die Beziehung zur Kirche, auf der anderen Seite die Beziehung zur Universität und zur Öffentlichkeit. In allen diesen Bereichen funktioniert es gut. Die Zeiten ändern sich aber und wir müssen darauf reagieren. Wir möchten uns mehr auf Studierende aus dem Ausland fokussieren. Wir haben einen neuen akkreditierten Studiengang auf Englisch, der parallel zur tschechischen evangelischen Theologie läuft. In diesem Studienjahr haben wir den ersten Jahrgang eines Bachelor-Grades eröffnet. Für das Master-Studium haben wir bis jetzt noch niemanden angenommen. Die Interessenten aus dem Ausland (meistens Afrika und Asien) haben bis jetzt nämlich die Anforderungen nicht erfüllt, die wir für das Master-Studium gesetzt haben, vor allem was die Kenntnisse alter Sprachen – Latein, Griechisch, Hebräisch – betrifft. Diese werden nämlich in den unteren Stufen der Länder, woher die Studenten kommen, nicht unterrichtet.

Auf welchem Wege stellen Sie den Kontakt zu Studierenden aus Asien und Afrika her?

Es besteht relativ großes Interesse, die Bewerber suchen uns quasi selbst auf. Wer einen Studienplatz in Europa sucht, findet uns sehr einfach. Wir versuchen für diese Studienmöglichkeiten zu werben, wir wollen auch kirchliche Kontakte nutzen, weil sich die meisten der Bewerber auf eine Predigttätigkeit vorbereiten wollen und Angehörige einer Kirche sind. Die Evangelische Kirche, die unsere wichtigste Partnerkirche in der Tschechischen Republik ist, hat viele ausländische Kontakte.

In Ihrem Wahlprogramm erwähnten Sie, dass Sie ein research master -Programm eröffnen wollen. Was soll man sich darunter vorstellen?

Das ist keine neuartige Erfindung, solche Programme werden auf den theologischen Fakultäten im Westen, in Deutschland oder in Holland, angeboten. Meine Vorstellung basiert darauf, dass man jedes Fachgebiet, und die Theologie als Geisteswissenschaft insbesondere, aus zwei verschiedenen Sichtweisen betrachten und studieren kann. Entweder so, wie es am meisten gemacht wird, nämlich dass man enzyklopädisches Wissen in einem Fachgebiet erlangt, sich gegebenenfalls spezialisiert  – oder umgekehrt, dass man sich ein Thema aussucht, welches man interessant findet und welches man ausführlich kennenlernen möchte, und auf diesem Weg zu den breiteren Zusammenhängen gelangt. Das ein- oder zweijährige Programm wäre individuell gestaltet, der Student bekommt einen Tutor zugeteilt, dessen Aufgabe es ist, die Arbeit des Studierenden anzuleiten und ein Curriculum zu erstellen. Darin ähnelt es ein wenig dem Doktorstudium.

Die Fakultätskapelle im Untergeschoss der ETF UK wurde schon rekonstruiert (foto 1). Die Bibliothek der Fakultät wartet noch auf ihre Rekonstruktion (foto 2).

B

C

 

Der Dozent Filip Čapek aus dm Fachbereich Altes Testament beteiligt sich mit seinen Studierenden an einer sehr erfolgreichen archäologischen Forschung in Israel. Als ich mit ihm darüber sprach, beschwerte er sich darüber, wieviel Zeit und Energie es ihn tagtäglich kostet, Geld dafür zu sammeln, dass er sich bei dem Projekt überhaupt beteiligen kann. Wie wollen sie sich als Dekan den Finanzierungsfragen der Fakultät stellen?

Als kleine Fakultät kämpfen wir mit finanziellen Problemen und Mangel schon seit der Eingliederung in die Universität. Mehr als die Hälfte des Budgets wird schon lange Zeit aus Zuschüssen bezogen. Es ist eine bleibende Ungewissheit, d.h. man weiß nie, welche Projekte erfolgreich sein werden. In den letzten Jahren ist zudem die Erfolgsrate der Bewerbungen prozentuell immer niedriger geworden, was daran liegt, dass die finanziellen Zuschüsse nicht erhöht werden, es dafür aber mehr Studiengänge gibt, die dadurch finanziert werden.

Wir haben finanzielle Probleme und das wird sich wahrscheinlich auch nicht ändern, wir müssen damit irgendwie kämpfen. In der jetzigen Situation sieht es nicht so aus, als ob uns fette Jahre erwarten. Noch dazu bereiten wir gerade eine große Gebäuderekonstruktion vor, bei der uns die Universitätsleitung sehr unterstützt, und der ehemalige Rektor, Professor Tomáš Zima, hat uns dazu intensiv aufgefordert. Finanziell ist es aber natürlich sehr kostspielig.

Als Prodekan für Ökumene- und Auslandsbeziehungen haben Sie in Zusammenhang mit dem Kriegsausbruch in der Ukraine das Moskauer Patriarchat angeschrieben und aufgefordert, „jegliche Autorität, die es in der Russischen Föderation hat, dazu zu nutzen, den Angriff auf die Ukraine zu beenden“. Haben Sie eine Antwort erhalten?

Nein und ich habe sie, ehrlich gesagt, gar nicht erwartet.

Die Stimme der ETF UK konnte man letztens auch im Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen in Peking hören, als der akademische Senat den Impuls gegeben hat, die Tibet-Flagge und die Uigurische Flagge vor der ETF UK aufzuhängen (heute weht vor der Fakultät die Ukrainische Flagge). Möchten sie, dass die Stimme der ETF UK auch in der Öffentlichkeit lauter zu hören ist?

Alle diese Ereignisse, die Sie erwähnt haben, betrachte ich als Extreme. In diesen Situationen ist es angemessen, eindeutig auszudrücken, auf welcher Seite wir stehen. Andererseits sind Universitäten ein Ort für fachlichen Diskurs, aber auch Weltanschauung wird hier diskutiert. So war es immer und ich hoffe, es bleibt weiterhin so.

Sie haben einen ziemlich vollen Studienplan und gleichzeitig sind Sie in der Forschung. Wie wollen Sie das mit den Aufgaben des Dekans kombinieren?

Ich nehme an, ich muss etwas weniger unterrichten. Ich will aber nicht komplett darauf verzichten. Das ist hier nicht Standard und würde auch nicht funktionieren, so viele sind wir hier nicht. Die Forschung will ich auch nicht ganz aufgeben. Es hängt mit dem Unterricht doch zusammen. Ich bemühe mich – vor allem in den Vorlesungen zur Bibelauslegung – auch etwas mitzubringen, was ich selbst erforscht habe, neue Sichtweisen zu den einzelnen Themen. Diesen Teil des Unterrichts möchte ich behalten.

Obrázek5

Schon im Jahre 1989 gingen Sie nach Cambridge, um zu studieren. Wie bekamen Sie noch vor dem Fall des Eisernen Vorhangs einen Studienplatz im Westen?

Bis 1990 war unsere Fakultät eine selbstständige Institution außerhalb der Karlsuniversität, was ihr in gewisser Weise größere Freiheit gab. Theologische Fakultäten wurden nämlich als kirchliche Institutionen wahrgenommen, weswegen sie dem Kultusministerium und nicht dem Bildungsministerium unterstanden. Von Zeit zu Zeit öffneten sich für Studenten gewisse Möglichkeiten, wie man westliche Universitäten besuchen konnte – Ende der sechziger und später der achtziger Jahre. Solch eine Möglichkeit bot sich auch mir. Und ich war nicht der erste, ein Jahr zuvor kam mein Mitschüler nach Cambridge. Ich bin im September 1989 abgereist und kam im Mai 1990 zurück.

Welche Anforderungen mussten Sie erfüllen, um dorthin zu gelangen?

Ich musste alle möglichen Genehmigungen beantragen, Visum und Devisenklauseln inklusive. Die Genehmigung für die Ausreise besorgte die Fakultät über das Kultusministerium, es ging also auf einem anderen, wahrscheinlich unüberwachten Wege. Das Stipendium bekam ich von der britischen Vereinigten Reformierten Kirche. Dank dessen konnte ich auch am Studienhaus studieren, welches dieser Kirche in Cambridge angehört.

Das musste für Sie ein großes Erlebnis sein, im September 1989 nach Großbritannien auszureisen. Was hat es Ihnen gegeben?

Mehrere Kartons voll mit Büchern. Im Studienhaus hat der lokale Studentenverein regelmäßig Bücher-Auktionen organisiert. Jede Woche wurden Bücher aus Erbschaften in eine Reihe gelegt, die wurden dann versteigert. Und deutsche Bücher wollte niemand haben, also habe ich dort sehr günstig viele für mich wertvolle Publikationen bekommen. Das verstehen die Studierenden heutzutage nicht mehr, sie haben alles auf ihren Computern. Für uns war damals aber die Bibliothek die Basis. Ich habe mich aber auch auf die Arbeit als Pfarrer vorbereitet. Das hieß, dass ich wahrscheinlich irgendwo außerhalb Prags leben würde. Falls man da theologisch arbeiten wollte, war man auf seine eigenen Bücher angewiesen.

In den neunziger Jahren waren sie dann Pfarrer. Was hat Sie zurück auf den akademischen Boden geführt? Ihre Dissertation war erst im Jahr 2003.

Schon als Pfarrer habe ich an meiner Dissertation gearbeitet. Es ging aber sehr langsam, ich hatte für professionelle Arbeit wenig Zeit. Mein Professor Petr Pokorný, der mich zum Studium des Neuen Testaments brachte, hat mich am Ende dazu ermutigt, mich im Unterricht zu betätigen, und so kam ich zurück auf akademischen Boden.


Mgr. Jan Roskovec, Ph.D. ist Absolvent der Evangelisch-Theologischen Comenius-Fakultät (die heutige Evangelisch-Theologische Fakultät der Karlsuniversität – ETF UK). Er studierte auch an Universitäten in Cambridge und Erlangen. In den neunziger Jahren arbeitete er als Pfarrer der EKBB in Český Brod. Später kam er zurück an die ETF UK und promovierte in Theologie. Er befasst sich mit dem Neuen Testament, vor allem mit der Interpretation der Schriften von Paulus und Johannes. Er ist Leiter des Zentrums biblischer Studien, einer gemeinsamen Arbeitsstätte der Karlsuniversität und der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik. Die Leitung der Fakultät für die nächsten vier Jahre übernahm Jan Roskovec Anfang Juni.

Autorin: Helena Zdráhalová, redaktionell gekürzt, Foto: Michal Novotný

Newsletter

Interessieren Sie sich für Neuigkeiten aus unserer Kirche?