Wer hilft wem? Ein Gespräch mit Jan Soběslavský

#Diakonie   Wenn es ums Geschäft geht, verbergen Unternehmen ihre Pläne vor der Konkurrenz. Aber bei der Diakonie geht es nicht ums Geschäft. Die Diakonie ist ein von der Kirche eingerichteter öffentlicher Dienstleister mit einem weiten Kreis von Unterstützern. 

Wer hilft wem? Ein Gespräch mit Jan Soběslavský
Wer hilft wem? Ein Gespräch mit Jan Soběslavský

„Und deshalb denke ich, dass es angebracht ist, regelmäßig darüber zu informieren, in welche Richtung wir gehen“, sagt Jan Soběslavský, Direktor der Diakonie der Evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder. Diese Ausrichtung wird in einem neuen strategischen Plan erläutert. Diesmal reicht es nicht, die einfachen, erreichbaren Ziele zusammenzufassen. Er rechnet mit einer breiten und auch recht spannenden Diskussion. Auch deshalb sei es wichtig, darüber zu sprechen.

Der letzte strategische Plan war sehr praktisch ausgerichtet, etwa darauf, das Personalwesen in der Diakonie zu verbessern. Nun tauchen darin aber ausgesprochen philosophische Themen auf.

Wie sind die da hineingeraten?
Natürlich lassen wir nicht ab von den praktischen Themen. Wir waren uns zum Beispiel einig, dass wir lernen müssen, uns besser um die Gebäude zu kümmern, die der Diakonie gehören. An einem Ort klappt das großartig, an einem anderen hakt es hier noch. Und dann möchte ich betonen, dass auch der letzte strategische Plan, den wir bereits umgesetzt haben, nicht nur auf die Praxis ausgerichtet war. Schließlich beinhaltete er die diakonischen Werte. Zur Erinnerung – es geht um Barmherzigkeit, Meisterlichkeit, Gemeinschaft und Hoffnung. Buchstäblich alle Mitarbeiter der Diakonie sollten sich mit diesen Werten vertraut machen, und das ist uns auch gelungen. Weil die diakonischen Werte bewusst unkonventionell formuliert wurden, führen sie zu Fragen. Vereinfacht gesagt: Wir wissen schon, dass wir anderen mit Barmherzigkeit begegnen sollten. Doch dann stellt sich uns die Frage, was Barmherzigkeit eigentlich bedeutet. Wir wollen dieses Fragen in der nächsten Zeit fördern und einrahmen durch die Diskussion der einen Frage, die meines Erachtens darüber steht und in der alle anderen Fragen zusammenlaufen.

Und wie lautet diese Frage?
Wer ist der Mensch? Ich weiß, dass dies, anders als beispielsweise ein ausgeglichener Haushalt, ein sehr abstraktes Thema ist, aber meiner Meinung nach ist die gesamte Arbeit der Diakonie darauf ausgerichtet. In der Diakonie helfen Menschen Menschen. Und es muss die Vorstellung davon geklärt werden, wer eigentlich wem hilft und wozu.

Sollte die Diakonie solche Fragen nicht längst beantwortet haben?
Das könnte man zwar auch so sehen, aber das ist meiner Meinung nach etwas irreführend. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass die Frage, wer der Mensch ist, von der Menschheit immer wieder neu geklärt werden muss. Schließlich kann schon ein Fortschritt in der Wissenschaft unsere Auffassung davon, wer eigentlich der Mensch ist, verändern. Ich werde das in ein konkretes Beispiel übertragen. Die Diakonie betreibt Altenheime. Wir sagen den Menschen – kommen Sie zu uns, wir helfen Ihnen, Ihr Lebensende würdig und schön zu leben. Aber was bedeutet das? Bedeutet das hundertprozentigen Service, peinliche Sauberkeit und eine exakt nach dem menschlichen Erbgut berechnete Kaloriendiät? Oder ist es wichtiger, sich wie zu Hause zu fühlen, wozu auch ein bisschen Unordnung und Improvisation gehört? Dies ist nur ein kleines Beispiel dafür, worüber wir sprechen müssen. Ich denke, das wird ziemlich spannend, weil es die tiefsten Themen im Bereich Philosophie, Biologie, Theologie, Psychologie betrifft. Einem Menschen zu helfen, hat auch eine Dimension, die oft vergessen wird. Sagen wir die geistig-spirituelle Dimension. Und um diese geht es.

Wurde diese Dimension in der Diakonie vergessen? Das wäre seltsam, da es sich um eine von der Kirche gegründete Organisation handelt. An ihrer Erneuerung vor dreißig Jahren war eine Reihe von Pfarrern beteiligt.
Ich glaube, dass die Diakonie sie eindeutig nicht vergessen hat. Aber es musste die Zeit kommen, in der ein konzentriertes Gespräch über diese Dimension geführt werden kann.

Und wie?
Ich weiß nicht, wie es früher war, aber als ich im Jahr 2000 zur Diakonie kam, bemerkte ich im Zusammenhang mit diesem Thema eine gewisse Verlegenheit. Das lag wahrscheinlich daran, dass die Diakonie aus Gruppen mit unterschiedlichen spirituellen Zugängen bestand, die Schwierigkeiten hatten, eine gemeinsame Sprache zu finden. Auf der einen Seite Menschen mit einer sehr stark empfundenen persönlichen Frömmigkeit. Auf der anderen Seite Pfarrer, die als liberal bezeichnet werden, die sich aber grundsätzlich schwer in eine Schublade stecken lassen. Dann Menschen aus anderen Kirchen als unsere Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder. Dann die Manager – unter ihnen auch Protestanten –, die Spiritualität mit frommem Geschwätz in Verbindung brachten, auf das sie allergisch reagierten. Schließlich auch Menschen, die überhaupt keine Verbindung zu einer Kirche und oft wenig Ahnung vom Christentum haben. Es brauchte wohl einige Zeit, bis sich all diese Gruppen gegenseitig kennengelernt, aneinander gewöhnt und die schärfsten Spitzen geschliffen hatten. Da musste auch einige Arbeit geleistet werden. Diakonische Werte formulieren und bekannt machen. Sich darauf verständigen, wie moderne geistig-spirituelle Pflege aussehen sollte; dass man zum Beispiel einen Menschen so respektieren soll, wie er ist, und ihm nichts aufzwingen soll. Im Hinblick auf alle möglichen Gruppen in der Diakonie stellt die Seelsorge immer noch ein schwieriges Thema dar. Aber ich denke, wir sind heute schon in einer solchen Form, dass uns das nicht überfordert. Die ersten beiden Kapläne haben wir bereits, ihre Aufgabe ist es, einen Seelsorgedienst in der Diakonie aufzubauen. In drei Jahren hätten wir gern sieben Kapläne.

Was wird ihre Hauptaufgabe sein?
Die Diakonie hilft Menschen in Not. Sei sie altersbedingt, wenn die körperliche Hülle des Menschen gebrechlich wird, er zunehmend auf Hilfe angewiesen ist und eindringlich darüber nachdenkt, was mit seiner Würde passiert. Oder wir arbeiten mit Menschen mit Behinderungen, die aus unterschiedlichen Gründen stigmatisiert werden. Wir betreuen auch Menschen, die in ihrem Leben etwas verbockt haben und auf den falschen Weg geraten sind. In all diesen Fällen stellt sich die Frage nach dem Sinn des menschlichen Lebens irgendwie drängender. Und genau in solchen Situationen sollen unsere Kapläne Unterstützung bieten. Nicht nur für Klienten selbst, sondern auch für ihre Familienangehörigen, und für die Mitarbeiter der Diakonie ebenfalls.

Es mag jetzt ein wenig ungebührlich sein, aber lassen Sie uns mit etwas sehr Irdischem schließen. Zu Beginn des Gesprächs haben Sie erwähnt, dass es Teil des neuen Strategieplans ist, den Gebäuden mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Warum?
Wenn ich heute in den Plattenbau komme, in dem ich aufgewachsen bin, ist das Haus neu verputzt, hat einen Fahrstuhl, die meisten Wohnungen wurden entkernt und neu gestaltet. Das ist ein beinahe völlig neues Haus. Und die Diakonie besitzt auch Gebäude, die zum Teil seit fast 30 Jahren nicht mehr angerührt wurden. Ich denke, das hat unsere Organisation mit der Kirche gemein: Es finden sich hier viele Menschen, denen die Dimension des Besitzes irgendwie unwichtig ist. Gleichzeitig laden wir Menschen ein, bei uns zu leben. Wenn wir schon dieses Selbstvertrauen haben, dann muss der Ort, zu dem wir einladen, ein gewisses Niveau haben. Es geht nicht um goldene Türklinken, sondern darum, dass sich die Leute bei uns wohlfühlen, wie zu Hause.

Adam Šůra