Studium im Land der tausend Seen

#Fakultät   Die Evangelisch-Theologische Fakultät organisiert regelmäßig Ausschreibungen für Studienaufenthalte oder Praktiken im Ausland. 

Studium im Land der tausend Seen
Studium im Land der tausend Seen

Eines dieser Stipendien-Programme, das die Studierenden jeder Zeit ihres Studiums beanspruchen können, ist das allseits bekannte Bildungsprogramm der Europäischen Union, Erasmus+, welches die Kooperation und Mobilität der Universitäten über ganz Europa hinweg fördert.
Hana Cardová und Anna Maňásková, Studentinnen der Sozial- und Pastoralarbeit an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Karlsuniversität (ETF UK), nutzten dieses Angebot und verbrachten das Wintersemester an der Diaconia University of Applied Sciences in Finnland, Helsinki.

Ihr seid beide im Rahmen des Erasmus-Programms nach Skandinavien gegangen. Was hat euch motiviert Helsinki als Studienplatz zu wählen?
(HC): Für mich war die Unterrichtssprache der Schlüssel. Zwischen den englischsprachigen Ländern habe ich mir als erstes Norwegen ausgesucht, letztes Semester haben die Unis aber keine neuen Studierenden aufgenommen. Also habe ich mich für das benachbarte Finnland entschieden.
(AM): Ich wollte ebenfalls auf Englisch studieren und ich habe viel positives Feedback zu Finnland bekommen.

Wie bewertet ihr eure Wahl jetzt? Würdet ihr heute anders wählen?
(HC): Finnland hat definitiv was zu bieten. Ich bereue es nicht, ich habe gut gewählt.
(AM): Ich würde Finnland sogar gerne noch einmal besuchen. Obwohl das Studium ziemlich schwierig war, denn das finnische Bildungssystem ist mehr auf Selbststudium und Teamarbeit ausgerichtet, was ich in Tschechien nicht gewohnt war.

Hat die Coronapandemie euren Aufenthalt beeinflusst?
(HC): Ich bin im August mit dem Auto nach Finnland gefahren, also musste ich keine komplizierten Flughafenkontrollen durchmachen. Alle Fächer an der Uni wurden aber leider online unterrichtet. Das hat mir nicht gepasst und es tut mir leid, dass wir nicht die Möglichkeit hatten, den Unterricht an der Fakultät zu absolvieren.
(AM): Ich bin nach Finnland geflogen, das war aber kein Problem für mich. Das Online-Studium war hingegen eine viel größere Herausforderung.

Ihr studiert beide Sozial- und Pastoralarbeit an der ETF. Hattet ihr die Möglichkeit, die Wahl der Fächer so anzupassen, dass sie mit eurem Studiengebiet übereinstimmen?
(HC): Wir konnten uns aus einer Auswahl von zehn allgemeinen sozialwissenschaftlichen Fächern, die für Studierende aus dem Ausland gedacht sind, etwas aussuchen. Ich persönlich habe dann den fehlenden seelsorgerlichen Teil mit einem Praktikum in einer protestantischen Gemeinde kompensiert.

Und wie läuft der Unterricht in Finnland im Vergleich zur Tschechischen Republik ab?
(HC): Nur ein Minimum der Fächer wurden mit Prüfungen beendet. Bei den Vorlesungen bildeten wir Gruppen, in denen wir für die Abschlussarbeit – ein Essay oder eine Team-Präsentation zum ausgewählten Thema – zusammenarbeiteten.
(AM): Die Teamarbeit hat mir gelegen, die Aufgaben waren oft so kompliziert, dass ich für jede Hilfe und Arbeitsteilung sehr dankbar war.
Ich würde gerne noch hinzufügen, dass ich das Studium an unserer Fakultät vermisst habe, am meisten die Auswahl an theologischen und seelsorgerlichen Fächern. Eine gewisse spirituelle/geistliche Ebene, die die ETF anbietet, ist für mein Fach sehr wichtig. Ich mag auch die kleinere Anzahl an Studierenden, währenddessen in Finnland die Kurse oft überfüllt waren.

Das Thema des Online-Studiums bringt mich gleich zur nächsten Frage: Wie war die Wohnsituation? Hattet ihr in Helsinki einen Rückzugsort?
(HC): Die Unterkunft in Helsinki hat die Agentur HOAS organisiert. Über diese Organisation bekam ich einen Platz in einer unmöblierten WG, die vom Stadtzentrum ungefähr 30-40 Minuten Fahrtzeit entfernt lag. Diese Wohnung war ungefähr um die Hälfte billiger als im Studierendenwohnheim im Zentrum, ich wohnte zusammen mit zwei finnischen Mitbewohnerinnen. Die Unterkunft war gut, nur die Kommunikation mit der Agentur war sehr schwierig – das bewerte ich wahrscheinlich als größtes Minus des Aufenthalts.
(AM): Ich habe im Zentrum im Studierendenwohnheim gewohnt. Die Wohnung war möbliert und trotzdem gut bezahlbar. Ich habe mit fünf Studentinnen aus Deutschland gewohnt. Mir gefiel, dass sowohl die Fakultät als auch das Einkaufscenter oder der Bahnhof nicht weit entfernt waren.

Und wie war das Leben außerhalb der Uni?
(HC): Der Vorteil des Online-Studiums lag darin, dass viele Kurse als Blockunterricht stattfanden und nur an manchen Tagen. Wir hatten also ziemlich viel Zeit. Ich bin viel durch Helsinki spaziert, um die Stadt zu erkundigen, ich habe verschiedene Gemeinden besucht, zu manchen Vorlesungen habe ich mich auch vom Café aus angemeldet. Was mich aber wirklich bezaubert hat, war die sagenhaft schöne Natur in Finnland. Zusammen mit Anna haben wir z.B. einen Ausflug nach Lappland unternommen.
(AM): Ich habe viel Zeit außerhalb des Studierendenwohnheims verbracht, da es dort für meinen Geschmack manchmal zu lebendig war. Mir hat es sehr gefallen, neue Gesichter kennenzulernen, Menschen aus aller Welt von Amerika über Europa bis Pakistan. Ich habe Theater und Museumsworkshops besucht. Und die Stadt hat mich fasziniert. Helsinki ähnelt Prag in vielem.

Und wie sind so die Finnen?
(HC): Es kommt mir so vor, als würden die Finnen nicht unbedingt zu den entgegenkomendsten Völkern zählen. Mit meinen finnischen Mitbewohnern z.B. sind wir uns nicht wirklich nahegekommen, die Kommunikation verlief auf einer minimalen Ebene. Der regelmäßige Besuch der evangelisch-lutherischen Gemeinde hat mir sehr geholfen.
(AM):  Ich hatte leider keine Chance, die Einheimischen (bis auf ein paar nette, offene und entgegenkommende Ausnahmen) besser kennenzulernen. Mein Vater hat früher in Finnland gearbeitet, also kannte ich ein paar seiner ehemaligen Kollegen.

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Habt ihr in der Kirchenstruktur bei uns in Tschechien und in Finnland Unterschiede beobachtet?
(HC): Finnland ist ganzheitlich protestantisch, ich würde es sogar als „protestantisches Paradies“ bezeichnen. Die Gemeinde, die ich besucht habe, war eine Missionsgemeinde, wo sich Menschen vieler verschiedener Kulturen trafen. Der Gottesdienst war englischsprachig (in anderen Kirchen überwiegend finnisch) und er dauert länger, gewöhnlich gibt es drei Lesungen (Altes Testament, Neues Testament, Apostolische Briefe) und jeden Sonntag gibt es Abendmahl. Eines ist aber sicher: genau so wie bei uns gibt es danach ein Treffen mit Kaffee und Tee. In der Woche gibt es dann ungefähr zweimal Bibelstunde.
(AM): Ich muss noch dazusagen, dass der Aufenthalt für mich bis dato die längste Zeit ohne meine Familie darstellte. Die Aktivitäten in der Gemeinde und der Jungen Gemeinde waren für mich darum auf eine gewisse Art Heimat. Mit der Jungen Gemeinde haben wir Ausflüge unternommen, Filme geschaut und natürlich haben wir gesungen und Musik gemacht, was mir sehr gefallen hat. Darüber hinaus war ich in einer internationalen Gemeinde. Das ermöglichte es mir bei den Treffen der Jungen Gemeinde, die Kulturen anderer Länder besser kennenzulernen. In Finnland habe ich mich definitiv geistlich weiterentwickelt.

Hana, wie ist das Praktikum abgelaufen, das Sie erwähnt haben?
(HC): Ich habe mir das Praktikum so ausgesucht, dass es in meinem Studium an der Evangelisch-Theologischen Fakultät als praktischer Teil anerkannt wird. Ich komme aus einem evangelischen Umfeld und ich war daran interessiert, zu erleben, wie Gemeindearbeit im Ausland aussieht. In einer der Gemeinden reichte es, regelmäßig zum Gottesdienst zu gehen, in einer anderen Gemeinde half ich bei der Organisation von Essensspenden an Bedürftige, ich nahm an Treffen der Jungen Gemeinde teil, besuchte die Bibelstunden für Erwachsene und die adventlichen Chortreffen.

Würdet ihr das Studium im Ausland und in Finnland anderen Studierenden empfehlen?
(HC): Definitiv. Das Erasmus-Programm bietet nicht nur eine breite Skala an Studienprogrammen an, sondern auch eine Reihe neuer und unwiederholbarer Erfahrungen. Falls ihr ins Ausland verreisen wollt, sucht am besten Informationen im Internet oder bei anderen Studierenden, die die jeweilige Universität schon besucht haben.
(AM): Dem stimme ich zu. Den zukünftigen Bewerbern rate ich, sich früh über den Auslandsaufenthalt zu informieren und vor allem rechtzeitig mit der Wohnungssuche zu beginnen. Des Weiteren empfehle ich, sich mit anderen Studierenden über ihre Erfahrungen auszutauschen. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an unsere Auslandsabteilung für ihre Hilfe und Unterstützung.

Matěj Bouček